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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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nächste Graphik hervor. Ein blauer, ein grüner und ein gelber Turm erschienen auf dem Bildschirm. Der gelbe Turm ragte fast ins Monitorgehäuse. «Umfrageergebnisse, repräsentativ, sechs Meinungsforschungsinstitute aus Deutschland, England, China, Russland und den USA . Zehn Prozent vermuten, das Problem werde sich erledigt haben, wenn sie wieder nüchtern sind, zwanzig Prozent sind fest davon überzeugt, das Ganze sei wissenschaftlich zu erklären, wissen aber nicht, wie, und die restlichen siebzig Prozent glauben, eine übernatürliche Macht sei am Werk. Übrigens schießen mittlerweile überall ziemlich obskure Sekten aus dem Erdboden, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen …»
    «Übernatürliche Mächte … und was meinst du?»
    Diana würdigte die wogenden Bücherstapel eines unbehaglichen Blickes und seufzte. «Ach, ich weiß es nicht. Ich möchte nicht glauben, dass irgendwelche komischen Geister damit zu tun haben. Ich möchte, dass mein guter, alter Verstand dieses Problem in Luft auflöst. Aber er tut es nicht.»
    «Mit Verstand kommen wir nicht weiter.» Erasmus setzte sich auf die Schreibtischplatte. «So, wie die Dinge liegen, kommen eigentlich nur übernatürliche Kräfte als Ursache in Frage. Und … ex ungue leonem pingere, also der Löwenkralle nach zu malen, sprich den Blitzen nach zu urteilen, könnte es sich durchaus um Götter handeln. Nur die Äpfel …»
    «Götter», sagte Diana matt.
    «Ja», fuhr Erasmus nickend fort und deutete auf den Bildschirm, «aber wenn ich und die siebzig Prozent da in deinem Computer recht haben und es tatsächlich so ist … was nützt uns das?» Er verschränkte die Arme vor der Overallbrust und betrachtete die umfallenden Bücher im Regal hinter dem Schreibtisch. «Wir können schließlich nicht einfach unsere Sachen packen und die Götter suchen. Deshalb sind sie ja Götter. Wie soll man denn zu denen hinkommen?»
    «Oh. Frag mich nicht», sagte Diana sehr bestimmt und hob abwehrend die Hände. Sie wollte gerade zu einem letzten schwachen Protest ansetzen, als der Bildschirm schlagartig pechschwarz wurde. Sekundenlang glaubte sie, der Strom sei ausgefallen oder plötzlich noch nicht erfunden. Dann formten sich vor ihren immer größer werdenden Augen langsam die Worte θεών έν γούνασι κείται. Diana lehnte sich zurück und fragte Erasmus möglichst beiläufig, ob er zufällig Griechisch könne.
    «Ja», brummte er, ohne den Kopf von den wogenden Regalen zu wenden. «Daran habe ich auch schon gedacht. Das sähe ihnen wirklich ähnlich, zumindest einem Gott wie Zeus, findest du nicht? Auch, dass es nicht aufhört, diese kindische Maßlosigkeit, die mich bei der ganzen Angelegenheit so irritiert.»
    «Nein, das meinte ich nicht. Dreh dich doch bitte mal um.» Erasmus kam der Aufforderung nach. Er rutschte vom Schreibtisch herunter, schob seine Brille weiter den Nasenrücken hinauf und starrte den Bildschirm gebückt an. Ein breites Lächeln kroch in seine Züge.
    «Und?», fragte Diana. «Was heißt es?»
    «Das liegt im Schoße der Götter
, oder
Das wissen die Götter …»
Die Schrift verschwand, und artig leuchteten die bunten Türme wieder über den Schirm.
    «Aha.» Diana hatte das unbestimmte Gefühl, sich setzen zu müssen, und stellte einigermaßen beruhigt fest, dass sie es bereits tat. «Erasmus?», fragte sie zögernd, ohne ihn anzusehen.
    «Ja?»
    «Was … was hältst du davon, mit mir wegzufahren? Irgendwohin. Ich habe noch ein bisschen Geld auf dem Konto, und wir könnten einfach nach Norwegen verreisen. In eine Hütte. Aus Holz. An einem See. Weit weg. Ohne Fernsehen oder Radio oder Strom. Und wenn alles vorbei ist, kommen wir zurück.»
    «Wir müssen nach Griechenland.»
    «Nein, lass uns lieber nach Norwegen …»
    «Diana, wir können doch nicht tatenlos zusehen.»
    «Warum nicht?» Diana klammerte sich an den Strohhalm und versuchte, möglichst überzeugend zu klingen. «Ich meine, ich bin nicht besonders feige oder so, nicht, dass du das denkst, lieber Erasmus, aber … meinst du nicht, wenn du recht hast, heißt das, dass das ziemlich gefährlich werden könnte?»
    «Doch.» Erasmus nickte.
    «Na, siehst du. Ich möchte aber gern noch länger leben. Graue Haare kriegen. Wie du. Und Kinder haben. Du … nicht auch? Das wäre doch nett, oder?»
    «Wir müssen etwas tun», wiederholte Erasmus hartnäckig.
    «Aber warum denn? Ich meine, am Ende … Irgendwann wird sich alles von selbst beruhigen, und wenn

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