Götterdämmerung

gesündigt, ja! Nun straft uns Gott der Herr für die Sünden der Teufel, und ihr seid Teufel, wie alle Teufel sind, und bestraft werden müsst ihr! Jaaa!»
    «Jetzt hört mal, Leute, wir …»
    «Kein Wort soll mehr über deine Satanslippen kommen, Hexer!» Mordratt wandte sich an die Menge und kreischte so mitreißend, dass es sogar in Gwydiots Ohren fast einleuchtend klang: «Verbrennt sie!!!»
    Der Magier schloss mit seinem Leben ab. Das war’s dann also. Verbrannt von einer Meute, die alles Unerklärliche gleich für ein Werk des Höllenfürsten persönlich oder eine Strafe Gottes hielt und hinter jeder stinknormalen Magenverstimmung ein Zeichen des Himmels witterte. Eine wirklich wunderbare Art, das Zeitliche zu segnen.
    Tobende Männer und Frauen holten mit Fackeln aus, trieben die drei Sendboten der Hölle zurück in die Scheune und stachelten sich gegenseitig mit Bemerkungen an, die in erster Linie mit verbranntem Fleisch und Höllenfahrten zu tun hatten sowie – ausdrücklich in zweiter Linie – mit dem Goldsäckchen des Kuttenträgers. Als die fackelbewehrten Arme wieder nach vorn schnellen wollten, um ihre todbringende Last auf das Scheunendach zu schleudern, hielten die Werfer kurz inne, griffen sich verdutzt an ungewaschene Hälse und in zügig abblätternde Hautpartien, fielen rücklings um und waren bereits tot, noch ehe sie sich auf den Pflastersteinen die Köpfe blutig schlugen.
    Wenige Sekunden später lag fast die gesamte Bevölkerung von Mulchelney reglos auf dem Dorfplatz, hingerafft von mehreren Seuchen, die jeweils schon für sich genommen todbringend waren, in der hier angewandten Zusammenstellung jedoch für das schnellste Massensterben der Geschichte gesorgt hatten.
    Gwydiot, Gwenddolau und Gawain traten aus der Scheune.
    «Was …?», fragte Gawain.
    «Gott!», sagte Gwenddolau.
    «Richtig», sagte Gwydiot.
    Apollon nickte zufrieden und trat den Heimweg an. Für den Augenblick hatte er seine Schuldigkeit getan.
    Tiefe, nachdenkliche Falten gruben sich in Ares’ unansehnliches Schläger-Gesicht. Eine Zeitlang sah er dem schnell verschwindenden Verräter nach. Dann machte er sich unschlüssig ebenfalls auf den Rückweg nach Olympos. Er wusste nicht, weshalb Apollon die Sterblichen gerettet hatte.
    Aber etwas in den unergründlichen Tiefen seines inzestgeschädigten Götterhirns sagte ihm, dass sein Vater davon erfahren musste.
    Und zwar möglichst schnell.

10
    Cameron stieg aus seinem Wagen und schloss das Verdeck. Er ging zum Heck des 370 er Benz, nahm seine lederne Reisetasche aus dem Kofferraum, schloss ihn wieder und fuhr mit der Handfläche wehmütig über das weiß glänzende Blech. Hinter ihm lugte die Sonne über den wolkenlosen Horizont und tauchte die Kofferraumklappe und den Rest von Los Angeles in ein sanftes, warmes Gelb. Cameron blieb stehen und sah ihr eine Zeitlang zu.
    Die Sonne war noch nie von so vielen Menschen beim Aufstehen beobachtet worden wie an diesem Morgen. Überall hingen Kalifornier aus den Fenstern ihrer Häuser und Apartments und betrachteten den größer werdenden, Leben spendenden Himmelskörper, manche nachdenklich, manche melancholisch, manche verzweifelt. Angesichts der Geschehnisse um sie herum hegten die meisten dieser Zuschauer die starke Vermutung, sie würden das schöne gelbe Ding nicht mehr allzu häufig zu sehen bekommen. Und wenn man diese Vermutung hinsichtlich irgendwelcher Dinge hegt, sieht man besonders genau hin, wie jeder weiß, der mal einen Schneemann ins Herz geschlossen hatte.
    Cameron betrat das Flughafengebäude und ging zum Boeing-Air-Transport-Schalter, wo Gregory ein Ticket für den Flug nach New York hatte hinterlegen lassen. Von dort aus wollte er mit dem Yankee Clipper der PanAm via Neufundland nach Southampton weiterfliegen und sich erst dort für ein endgültiges Reiseziel in der Alten Welt entscheiden. Zumindest hätte Cameron jedem, der ihn gefragt hätte, diese Antwort gegeben. Er war kein Mensch, der von blödsinnigen, intuitiven Ahnungen sprach. Und er war erst recht kein Mensch, der zugab, überhaupt derartige Ahnungen zu haben.
     
    «Schön viel Platz», sagte Diana und schnallte sich in dem so gut wie leeren Lufthansa-Airbus fest.
    «Stimmt», sagte Erasmus und knitterte eine der Zeitungen auf, die man ihm beim Einsteigen überreicht hatte. «Wer will schon fliegen, wenn die Gebrüder Wright plötzlich aus der Geschichte getilgt werden könnten.»
    «Wir», sagte Diana heiter. «Aber wir sind ja auch