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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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und breitschultrig, dass ihr die Frau leidtat, die Pullover in seiner Passform stricken musste.
    Als er mit zwei Tassen von der Selbstbedienungstheke zurückkam, zeigte er mit dem Kinn auf einen Tisch, der etwas abseits lag. »Nehmen wir den? Da sind wir unter uns.« Recht hatte er, denn die anderen Symposiumsteilnehmer, mit denen Wencke nun schon einige Stunden verbracht hatte, schauten bereits neugierig herüber, mit welchem Mann diese LKA-Frau aus Deutschland wohl gerade Kaffee trank. Besonders der Sprecher des italienischen Bildungsministeriums, der im Laufe desTages schon mehrfach versucht hatte, Wenckes Aufmerksamkeit zu gewinnen.
    Sobald Yngvisson Mütze und Schal abgenommen und sich gesetzt hatte, brauchte Wencke nur noch ein paar Sekunden, bis sie endlich darauf kam, wo sie ihm schon einmal begegnet war. Die blonden, etwas längeren Haare, ein Bart, der ihn nach Abenteurer aussehen ließ, helle Augen und das Lächeln … »Sie haben gestern im Flieger neben mir gesessen. Mein unangenehmer Sitznachbar hat dafür gesorgt, dass Sie einen Liter Apfelsaft auf die Hose bekommen haben.«
    »Bravo! Sie haben ein gutes Gedächtnis. Aber das gehört ja wahrscheinlich zu Ihrem Job. Als Profilerin muss man die Mitmenschen immer etwas genauer betrachten, oder nicht?«
    »Sie waren der einzige Passagier, der in der Situation halbwegs gelassen geblieben ist. So jemand fällt auf.«
    Er lachte und schob ihr den Kaffee rüber. »Sie sahen nicht so aus, als würde der Angriff Sie wirklich … wie sagt man so schön im Deutschen: aus den Strümpfen schlagen?«
    »Na, so ähnlich.« Wencke kontrollierte vorsichtig, ob das Tuch noch die Stellen am Hals verdeckte. Irgendwie wollte sie, dass Yngvisson sie tatsächlich für unverwundbar hielt. »Warum haben Sie mich eigentlich eingeladen? Hier sind jede Menge europäische Minister und politische Würdenträger, Journalisten und wichtige Finanzexperten – da passe ich doch überhaupt nicht dazu.«
    »Wir wollen dieses Symposium als Austausch nutzen. Island ist durch seine besondere Insellage in vielen Bereichen völlig autark, jedoch wollen wir Mitglied der EU werden, da muss man auch mal über den Tellerrand schauen. Natürlich brauchen wir neben Wirtschaft und Politik auch Vertreter der Exekutive. Unser Polizeiapparat in Island arbeitet völlig anders, war kein Wunder ist, wenn man sich nur um überschaubare 320 000 Einwohner zu kümmern hat. Eine Profiling-Abteilung gibt es garnicht, was wohl daran liegt, dass wir uns ohnehin alle irgendwie um drei Ecken persönlich bekannt sind und ein Verbrechen auf Island eine ganz andere Sache ist als beispielsweise in Hannover oder Bremen.«
    »Und wie sind Sie gerade auf meine Abteilung beim LKA Hannover gekommen?«
    »Sie sind mir empfohlen worden.«
    »Aha, und von wem?«
    »Von Ihrer Mutter. Von Isa.« Yngvisson sagte das ganz ruhig. Dass Wencke daraufhin sprachlos blieb, amüsierte ihn. »Wir haben uns auf einer Vernissage in Bremen kennengelernt und hatten eine ausgesprochen nette Zeit zusammen.«
    »Sie sind dieser Jarle?«
    »Genau der bin ich.« Yngvissons Mimik war anzusehen, dass die kleinen Lachfältchen um Mund und Augen gut im Training waren. Er mochte nicht viel älter sein als Wencke, auf jeden Fall unter fünfzig. Und er war der Liebhaber ihrer Mutter?
    »Hat Isa von mir erzählt? Das freut mich aber.«
    Wencke nickte schwach. Vielleicht wirkte er einfach nur jünger, weil die hier auf Island doch den ganzen Tag Fisch aßen und an der frischen Luft waren. Anders bekam Wencke diese Kombination einfach nicht auf die Reihe. Wie hatte ihre alte, ausgeflippte Mutter es geschafft, ein solches Prachtexemplar von Mann ins Bett zu kriegen? Nein, darüber wollte sie nicht nachdenken, nicht eine Sekunde lang.
    »Ihre Mutter hat andauernd von Ihnen geschwärmt. Wie erfolgreich Sie in Ihrem Beruf sind, wie mutig und engagiert.«
    »Das kann unmöglich meine Mutter gewesen sein. Ihr würde so etwas nicht über die Lippen kommen!«
    »Da kennen Sie Ihre Mutter aber schlecht.« Er packte den Butterkeks aus, der auf der Untertasse lag, und tunkte ihn in den Kaffee. Das machte Isa auch, fiel Wencke auf, und das hasste sie, seit sie ein Kind war, weil dann Tage später, wenn sich irgendjemandmal bequemt hatte, das Geschirr in die Spüle zu stellen, am Tassenboden eingetrocknete Krümel geklebt hatten.
    »Um ehrlich zu sein, Isa hat mir auch sonst einiges von Ihnen erzählt – ich hoffe, das ist Ihnen nicht unangenehm. Sie sagte, dass Ihre

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