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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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die zur Betreuung der Gruppe auserkoren war, sie flüsternd an. Lena Jacobi hatte sich leise durch die Kirchenbankreihen nach vorn geschlichen und duckte sich. Brauchte sie eigentlich nicht, sie war eine dermaßen graue Maus, dass sie sich ohnehin unbeachtet von der Menschheit bewegen konnte. »Soll ich Ihnen mit dem Rollstuhl helfen?«
    »Danke, nicht nötig.« Diese ewige Hilfsbereitschaft ging Silvie manchmal gehörig gegen den Strich. Hier was tragen, da was schieben, als hätte sie nicht alles wunderbar im Griff.
    »Das Mikrofon am Pult ist noch nicht angestellt, da gibt es einen kleinen Hebel …«
    »Kein Problem.« Wenn dieses junge Ding wüsste, mit wie viel verschiedenen Mikrofonschaltern sie in den letzten Jahren hatte zurechtkommen müssen.
    »Wir sind sehr stolz darauf, dass Ihr Mann bereit ist, hier zu sprechen!«, versicherte Lena Jacobi weiterhin flüsternd. »Es wäre uns eine Ehre, wenn Sie anschließend noch im Hotel Borg zum Gala-Menü erscheinen würden. Wie ist es eigentlich, kann Ihr Mann alles vertragen? Gesundheitlich, meine ich? Es gäbe sonst auch die Möglichkeit, eine besonders schonende Kost …«
    Jetzt wandte Silvie den Kopf in die Richtung, aus der das nervige Wispern kam, und starrte Lena Jacobi an. Sie wusste, dieser Blick konnte Menschen Angst einjagen. Geschah ihr recht. »Warum sollte mein Mann auf Seniorenkost umsteigen? Ich bitte Sie!«
    »Ich meine doch nur …«
    »Wir werden im Übrigen nach Abschluss dieser Festivität zum Flugplatz fahren, das Taxi ist bereits bestellt.«
    »Aber Sie wollten doch an unserer Rundreise teilnehmen …«
    »Uns ist leider ein Termin dazwischengekommen.« Das war natürlich nur eine faule Ausrede, jedoch für niemanden nachprüfbar. »Bitte teilen Sie Dr. Yngvisson noch einmal explizit mit, dass er auf keinen Fall den Zeitplan überziehen darf. Wir sind so schon knapp genug dran.«
    Nur diese eine Rede, dann würden sie beide Gott sei Dank von hier verschwinden. So schnell wie möglich. Der Flug war gebucht, das hatte Silvie bereits gestern gleich nach der Landung veranlasst. Direkt nach der grauenvollen Begegnung im Flugzeug.
    Diese Reise war wirklich eine Zumutung. Bei Anfragen dieser Art würde Silvie sich in Zukunft zuvor sämtliche Teilnehmer nennen sowie die detaillierte Auflistung der Organisatorenund Sponsoren zusenden lassen. Man konnte nicht vorsichtig genug sein. Eine sorgfältige Überprüfung jeglicher Einladungen war ihr schon seit Jahren besondere Herzensangelegenheit. Sie kontrollierte stets, ob Karls historische Bedeutung bei der Gestaltung des wiedervereinten Deutschlands und Europas entsprechend würdig transportiert werden sollte, ob genügend Presse  – Weltpresse!  – ihr Interesse bekundete und der kulturelle Rahmen stimmte.
    Hier in Island hatte auf den ersten Blick alles sehr ansprechend gewirkt. Doch sie hätte einfach genauer hinsehen sollen. Es war allein ihre Schuld, Silvie hatte es vergeigt. Ein Symposium, bei dem Wencke Tydmers – aus welchen Gründen auch immer – geladen war, hätte in ihrem Büro durchs Raster fallen müssen. War es aber nicht. Deswegen saß sie heute hier und schwitzte Blut und Wasser.
    Alf Urbich als einer der Vorsitzenden der AlumInTerra hatte sich für die Eröffnungsfeier entschuldigen lassen. Geschäftliche Termine, pah! Er drückte sich doch bloß vor der Begegnung mit Karl. Ein Mann wie Urbich brachte keine Geduld auf, mit seinem ehemaligen Weggefährten umzugehen, wirklich traurig. Schleierhaft blieb für Silvie nur, wie AlumInTerra auf die hirnrissige Idee kommen konnte, Wencke Tydmers auf die Gästeliste setzen zu lassen. Das musste Urbich als Vorsitzendem doch aufgefallen sein und wäre entsprechend zu verhindern gewesen! Schließlich war es seine Firma, die den Zirkus hier bezahlte.
    Das Konzert endete unerwartet leise und undramatisch, das Klatschen der Zuhörer setzte entsprechend zögerlich ein, wahrscheinlich erwarteten alle, zum Finale hin doch noch mal sämtliche Künstler bis zur Schmerzgrenze musizieren zu hören.
    »So, jetzt wären Sie dann an der Reihe«, sagte Lena Jacobi und zeigte Richtung Rednerpult, an dem sonst wahrscheinlich sonntäglich die Episteln verlesen wurden.
    Silvie begutachte noch einmal die Erscheinung ihres Mannes. Die Krawatte saß korrekt, wie gut, dass sie sich beim Packen für den tintenblauen Seidenschlips entschieden hatte, der wirkte so frisch. Karl schaute wach und ausgeglichen aus der Wäsche. Seine Mundwinkel waren trocken, die Finger

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