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Götterfall

Götterfall

Titel: Götterfall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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fror erbärmlich. Einen Menschen einfach so über Bord zu werfen, auf dass er zwischen Eisblöcken tiefgefroren wird, möglicherweise sogar noch in kleine Teile geschreddert, das bedurfte schon einer ausgeprägten Kaltblütigkeit.
    Die diensthabende Ärztin diagnostizierte eine mittelschwere Hypothermie, zu Deutsch Unterkühlung, aber darauf wäre Wencke auch ohne aufwendige Untersuchung gekommen. Bevor die fast bis auf die Knochen aufgerissenen und inzwischen geschwollenen Handflächen bandagiert wurden, hatte eine Schwester die Wunden behutsam desinfiziert und mit einer Salbe behandelt, sogar die blauen Flecken am Hals bekamennoch ein Mittelchen draufgeschmiert, wo sie schon mal dabei war. Danach teilte die Medizinerin mit, man wolle in einer Stunde zur Kontrolle noch einmal Puls und Blutdruck messen, wenn dann alles unauffällig wäre, sei sie entlassen.
    Toll, entlassen! Wencke lag im Krankenbett, unter der Bettdecke war sie bis auf einen grünen Operationsslip splitterfasernackt, die nassen Haare waren mit einem hellblauen Frotteetuch verhüllt und mit ihren nutzlos gewordenen Händen konnte sie weder schreiben noch telefonieren, sie war quasi schwerbehindert für die nächsten Tage. Wohin sollte sie in diesem Hafenkaff irgendwo im Südosten des Landes gehen? Ohne Papiere, ohne Geld, ohne trockene Klamotten, ohne jemanden, der sich hier auskannte?
    Als die Tür aufging und ausgerechnet Jarle Yngvisson als rettender Engel im Zimmer erschien, war das Wencke auch nicht wirklich recht. Sie wollte diesem undurchsichtigen Mann eigentlich lieber aus dem Weg gehen. Doch die Freude überwog, das musste sie sich eingestehen.
    Er kam auf sie zu, nahm sie wortlos in den Arm und drückte sie an sich – genau das hatte sie in diesem Moment gebraucht. Dann stellte er Wenckes Rucksack auf den fahrbaren Nachttisch. »Den soll ich Ihnen von Lena Jacobi geben. Das Ding stand wohl noch einsam und verlassen auf diesem Boot herum.«
    Wencke hätte gern danach gegriffen, geschaut, ob noch alles drin war, doch ihre Hände waren zu nichtsnutzigen Klumpen vermummt. »Danke!«
    »Ach ja, und sie hat auch Ihre Reisetasche aus dem Bus geholt und mir mitgegeben, damit Sie etwas zum Anziehen haben!«
    »Wow!« Wencke hob ihre Mumienhände. »Ich fürchte nur, ich brauche jemanden, der mir da reinhilft.«
    »Ich würde mich anbieten«, sagte er lächelnd. »KeineAngst, ich mache auch die Augen zu!« Er setzte sich auf die Bettkante. »Lena hat mich sofort angerufen, nachdem Sie im Krankenwagen waren. Sie war außer sich, weil der Bootsführer steif und fest behauptet hat, es sei kein Unfall gewesen, das könne bei ihm an Bord nicht passieren.«
    »War es auch nicht.«
    »Er hat gesagt, Sie hätten sich eventuell freiwillig …«
    »So ein Blödsinn. Wenn ich mich umbringen will, dann veranstalte ich nicht so eine Zirkusakrobatik am Seil, dann springe ich einfach rein.«
    »Was war es dann?«
    »Na, was wohl!«
    Er sah sie ernst an. »Erzähl mir alles, was du weißt. Wir müssen herausfinden, wer dir das angetan hat!« Dass er auf einmal zum Du überging, störte Wencke nicht.
    »Es war auf jeden Fall keine deiner Sagengestalten, sondern ein handfester Mensch aus Fleisch und Blut, das kann ich dir schriftlich geben!«
    »Hast du einen Verdacht?«
    Ja, den hatte Wencke, sogar zwei. Doch sie wollte Götze erst einmal aus der Sache herauslassen. Bislang schien außer der Polizei noch niemand zu wissen, dass er geflohen war, und das war gut so. Wie auch immer alles zusammenhing, welche Rolle Götze spielte, Jarle Yngvisson, das Ehepaar Hüffart und nicht zuletzt sie selbst – Wencke wollte auf der Hut bleiben, solange sie nicht wusste, wer auf welcher Seite stand.
    »Da war so ein Mann, ungefähr fünfzig, rotblond und nicht gerade ein Riese …«
    »Bist du dir sicher?«
    »Sicher? Nein, ganz und gar nicht. Es könnte jeder gewesen sein, und das jagt mir eine Wahnsinnsangst ein. Am liebsten würde ich den nächsten Flieger nach Hause nehmen, aber das kann ich mir ja wahrscheinlich abschminken.«
    »Ja, sieht ganz so aus. Der Herðubreið spuckt immer heftiger, wir sitzen fürs Erste hier fest.« Jarle nahm ihre Hand in seine. »Aber ich kann deine Sorge verstehen, Wencke. Wer immer der Angreifer war, muss gewusst haben, dass du an diesem Tag genau dort zu finden sein würdest. Wahrscheinlich kennt er das Symposiumsprogramm und wartet jetzt nur auf die nächste Gelegenheit.«
    Jarles Vermutung klang schlüssig. »Und, hast du eine Idee, was

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