Götterfluch 1 - Der Geraubte Papyrus
Denen, die sein Verhalten unangemessen fanden und ihn wegen seiner Unbekümmertheit tadelten, hielt er entgegen: »Gebraucht man einen Bogen, spannt man ihn; nach dem Gebrauch muss man ihn entspannen. Wäre er ständig gespannt, würde er brechen. Genauso verhält es sich mit einem König, der ständig arbeitete, er würde verdummen. Deshalb teile ich meine Zeit in Arbeit und Vergnügen.«
Und diese Einstellung zeitigte hervorragende Ergebnisse. Den Ägyptern fehlte es an nichts, und dank der klugen Außenpolitik ihres Pharaos genossen sie dauerhaften Frieden. Um einen Überfall auf sein Land zu verhindern, stützte sich Amasis auf ein solides Bündnis mit den Griechen und ließ keine Gelegenheit verstreichen, ihnen seine Fürsorge zu beweisen. So hatte der Pharao, nachdem der Tempel von Delphi abgebrannt war, als Erster seine großzügige Unterstützung zum Wiederaufbau des Heiligtums angeboten. Rhodos, Sanios, Sparta und andere Städte schätzten die Freigebigkeit des ägyptischen Herrschers, dessen Heer zum größten Teil aus griechischen Söldnern bestand, die gut untergebracht waren und anständig bezahlt wurden. Außerdem hatte der Pharao eine Prinzessin aus der königlichen Familie von Kyrene geheiratet, die die Urheberin eines beachtlichen Plans gewesen war: die Entwicklung der Küstenstadt Naukratis, in der sich die wichtigsten Handelsbeziehungen mit Griechenland abspielten.
Als der König sich gerade zu einer friedlichen Ausfahrt mit einer Barke auf einem Kanal in der Nähe seiner Residenz aufmachen wollte, bat Henat um eine dringende Unterredung. Amasis verabscheute derartige Störungen.
»Was ist denn schon wieder?«
»Es gibt zwei wichtige Neuigkeiten, Majestät.«
»Gute oder schlechte?«
»Ich würde sagen beunruhigende.«
Der Ausflug war verdorben. Allein die Vorstellung, gleich irgendwelche brennenden Schwierigkeiten lösen zu müssen, ermüdete Amasis, und er ließ sich in einen Lehnsessel sinken.
»Kyros, der Kaiser von Persien, ist tot. Sein Sohn Kambyses wird sein Nachfolger«, sagte Henat ernst.
Der Pharao war erschüttert.
Nachdem Kyros Krösus, einen Verbündeten der Ägypter ausgelöscht hatte, hatte er ein gewaltiges Reich begründet, das vom Indus, dem Kaspischen Meer, dem Schwarzen Meer, dem Mittelmeer, dem Roten Meer und dem Persischen Golf begrenzt war. Ohne Unterlass vergrößerte er seine Kriegsflotte, sein Heer und seine berittenen Soldaten, wagte aber trotzdem nicht, Ägypten anzugreifen, das militärisch sehr stark war. Wie Amasis vermutet hatte, begnügte sich Kyros mit seinem riesigen Herrschaftsgebiet und hatte die kriegerischen Auseinandersetzungen eingestellt.
»Was weiß man von Kambyses?«
»Er hat Babylonien mit starker Hand geführt und versprochen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.«
»Dann können wir ja unbesorgt sein.«
»Vielleicht handelte es sich bei dieser Rede um eine Lügengeschichte.«
»Hat denn nicht Kambyses unseren guten Freund Krösus bei seinen Aufgaben in Persien unterstützt?«
»Ja, das hat er.«
»Dann will der neue Kaiser den Frieden.«
Das Schicksal von Krösus, dem König von Lydien, war ohne Beispiel. Als Urheber einer neuen Währung, die ihn reich gemacht hatte, betätigte sich Krösus als großzügiger Gönner von Tempeln, Denkern und Künstlern und glaubte, für immer das friedliche Dasein eines begüterten Herrschers führen zu können. Bis die Perser ihn angriffen.
Obwohl Babylon durch einen Bündnisvertrag zur Unterstützung Lydiens verpflichtet war, machte es keinerlei Anstalten dazu. Und die ägyptischen Truppen trafen zu spät ein. Zu aller Überraschung verschonte Kyros aber den reichen Krösus und überließ ihm sogar einen kleinen Landbesitz. Damit nicht genug, ernannte er ihn auch noch zum obersten Beamten für nachbarschaftliche Beziehungen! Krösus wurde zum getreuen Diener seines Bezwingers, erging sich alsbald in Lobesliedern über das große Persien und gewährleistete Ägypten für immer ein friedliches Zusammenleben mit Persien.
»Muss ich Euch daran erinnern, dass Krösus Mitetis geheiratet hat, die Tochter von Apries, dem Pharao, dessen Nachfolger Ihr seid?«
»Das ist lange her und längst vergessen.«
»Glaubt Ihr nicht, dass der junge Kambyses ehrgeizig und eroberungslustig auftreten wird?«
»Krösus wird ihn schon beruhigen. Er kennt mein Netz von Bündnissen und weiß, dass die Griechen Ägypten immer gegen Persien verteidigen werden. Uns anzugreifen, käme einem Selbstmord
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