Götterfluch 2 - Die dunkle Priesterin
Verdächtigen festzunehmen – und sei es ein Provinzoberhaupt –, besetzte er Oberägypten mit einem Aufgebot an Wachleuten, das von ungekannten Ausmaßen war, damit es ständig überwacht werden konnte.
An Bord seines Schiffs waren die beiden Kabinen in Arbeitszimmer umgewandelt worden, in denen eine ganze Schar von Schreibern fleißig arbeitete. Bei jedem Zwischenhalt versorgte man den Richter mit neuen Hinweisen; und er erteilte neue Anweisungen.
Nachdem er noch einmal alles durchgegangen war, was man über Bebon wusste, fühlte er sich in seiner Meinung bestärkt: Dieser Schauspieler war genau der Richtige für die Aufrührerbande. Als erfahrener Reisender, der auf den Tempelvorplätzen bei den öffentlichen Feiern der Mysterien die Götter spielte, hatte Bebon mit Sicherheit überall im Land Freunde und Bekannte, die er nun in den Dienst des Verbrechens stellte.
Leider fanden sich keine Hinweise zu seiner Freundschaft mit dem Mörder Kel. Ohne festen Wohnsitz wohnte Bebon bei seinen häufig wechselnden Geliebten und schwindelte sich immer irgendwie durch, wenn er nicht gerade auf Reisen war. Offenbar hatte er sich von der Aussicht, einer Geheimbewegung anzugehören, die den Pharao stürzen wollte, verführen lassen.
Und auch Nitis, die Neith-Priesterin, trug ihren Teil zur Sache bei. Vermutlich hatte ihr ihr verstorbener Lehrer die Namen der Ritualisten verraten, die an der Verschwörung beteiligt waren und ihr helfen konnten. Deshalb gelang es Kel schon so lange, dem verlängerten Arm des Gesetzes zu entkommen.
Dem Richter kam ein schrecklicher Verdacht: War vielleicht die Gottesdienerin Seele und Haupt der Verschwörer? Sie konnte sich zwar nicht offenbaren, könnte die Sache aber von oben steuern und anheizen. Täuschte sich Amasis womöglich in der Annahme, sie sei auf Theben beschränkt und ohne wirklichen Einfluss? Vielleicht war es ihr vielmehr gelungen, ein geheimes Heer von Untergrundkämpfern auf die Beine zu stellen, die entschlossen waren, ihr die Macht des Pharaos zu übergeben.
Eine unvoreingenommene Betrachtung der Lage machte diese Vermutung eher unwahrscheinlich. Amasis hatte die Oberaufsicht über das Heer, die Wachmannschaften und alle Reichsämter. Die Gottesdienerin dagegen feierte lediglich die Rituale zu Ehren von Amun und herrschte nur über eine kleine Zahl von Ritualisten und Dienern, die den Reichtum der Provinz Theben genossen.
Sollte Kel sie um Hilfe bitten wollen, gab er sich falschen Hoffnungen hin. Die Gottesdienerin musste ihn zurückweisen und wahrscheinlich sogar den Wachen ausliefern. Außer … Außer die verschlüsselten Papyrusrollen waren Bestandteil dieser schrecklichen Geschichte, und die Herrscherin über Theben besaß in ihrem unermesslichen Wissen den Schlüssel, um sie zu entziffern.
Bisher war es keinem gelungen, sie zu lesen. Wenn ihr Inhalt mit so viel Aufwand verschleiert worden war, musste er dann nicht sehr wichtig sein?
Einer von Richter Gems Schreibern unterbrach seine Überlegungen.
»Ich habe gerade mehrere Berichte aus den meisten großen Städten Oberägyptens bekommen.«
»Warum machst du dann so ein Gesicht? Ist vielleicht ein großes Unglück geschehen?«
»Der Ausdruck erscheint mir nicht unangemessen.«
»Sag, was du weißt.«
»Die Provinzoberhäupter und Stadtvorsteher von Oberägypten zeigen sich nicht sonderlich erpicht darauf, Eure Anweisungen in die Tat umzusetzen. Sie gehorchen zwar dem Pharao, teilen aber seine Liebe zu Griechenland nicht. Sie haben das Gefühl, Sais ist weit weg und blickt fast ausschließlich Richtung Mittelmeer, weshalb es den tiefen Süden und sein überliefertes Brauchtum vergisst, das die Gottesdienerin verteidigt.«
»Ist das der Beginn einer Volkserhebung?«
»Das wäre wohl übertrieben. Die Behörden lassen die Dinge einfach schleifen.«
»Mit anderen Worten – die Überwachung ist nicht so streng wie angeordnet, und der Mörder kann uns wieder durch die Maschen gehen.«
»Ich fürchte ja, Richter Gem. Was die Tempel betrifft, ist die Lage sogar noch ernster. Sie sind verärgert über den Zugriff der Obrigkeit auf ihre Verwaltung und ihren Besitz und nicht einverstanden damit, dass die Hohepriester nunmehr von Sais und ohne Mitspracherecht der Ortsgeistlichen ernannt werden. Weil sie sich missachtet und gebunden fühlen, geben uns die Priester des Südens keine Unterstützung.«
»Heißt das auch, dass sie vielleicht sogar Flüchtlingen Unterschlupf gewähren?«
»Das ist nicht
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