Götterfluch 2 - Die dunkle Priesterin
unter der Herrschaft von Pharao Amasis.
Obwohl die gereichten Weine ausgezeichnet waren, achtete Henat darauf, nicht zu viel zu trinken. Am Ende dieses herrlichen Abends verabschiedeten sich die Würdenträger der thebanischen Verwaltung beim königlichen Palastverwalter und dankten ihm noch einmal für seinen Besuch.
»Seid Ihr mit dem Haus zufrieden, in dem wir Euch untergebracht haben?«, fragte Chechonq besorgt.
»Ich fühle mich dort sehr wohl«, antwortete Henat.
»Ganz bestimmt?«
»Ja, bestimmt.«
»Seid Ihr auch mit den Angestellten zufrieden?«
»Alles ist in bester Ordnung.«
»Sollte es irgendwelche Schwierigkeiten geben, teilt es mir bitte sofort mit. Ich kümmere mich dann augenblicklich darum.«
»Ich danke Euch, Chechonq. Mein Aufenthalt hier in Theben ist ein reines Vergnügen, aber eigentlich bin ich in einem wichtigen Auftrag unterwegs: Ich muss die Gottesdienerin sprechen.«
»Das habe ich nicht vergessen, mein lieber Henat.«
»Dann bis morgen, Haushofmeister.«
Henat stand früh auf. Sofort reichte man ihm warme Milch und feine Honigkuchen – ein seltenes und teures Gebäck. So früh am Morgen war es noch sehr angenehm; dann kam die große Hitze, vor der sich Mensch und Tier im Schatten in Sicherheit brachten.
»Was wünscht Ihr zum Mittagessen?«
»Koteletts und Salat.«
Der Wäscher brachte ihm ein neues Gewand, der Haarschneider rasierte ihn gründlich, und ein anderer Dienstbote ließ ihn aus verschiedenen Duftwassern wählen.
Dann setzte sich Henat an den Rand des Wasserbeckens und wartete auf Chechonq. Am Ende dieses Vormittags oder spätestens am frühen Nachmittag würde er mit der Gottesdienerin sprechen und ihr die Anweisungen von Amasis überbringen. Wenn ihn die betagte Priesterin so freundlich empfing wie ihr Haushofverwalter, konnte die Unterhaltung nur herzlich und fruchtbar werden.
Die Stunden vergingen.
Henat aß ohne Appetit und lief dann ungeduldig im Garten auf und ab.
Endlich kam Chechonq.
»Heute Abend lade ich Euch zu einem Festmahl mit den wichtigsten Schreibern ein, die für die Opfergaben zuständig sind«, teilte ihm der Haushofmeister mit. »Sie wollen Euch ganz genau erklären, wie im Tempel von Karnak und den anderen Tempeln am Westufer des Nils gewirtschaftet wird.«
»Wunderbar. Wann kann ich die Gottesdienerin sehen?«
»Setzen wir uns doch in den Schatten.«
Chechonq wirkte verlegen.
Ein Diener eilte herbei und schenkte ihnen Bier ein.
»Will mich die Gottesdienerin etwa nicht empfangen?«, fragte Henat verärgert.
»Doch, doch! Es ist nur etwas dazwischengekommen. Und ich muss gestehen: Ich selbst habe sie heute auch noch nicht zu Gesicht bekommen. Dabei war ein Gespräch über verschiedene wichtige Dinge verabredet.«
»Und hat dieses Gespräch inzwischen stattgefunden?«
»Leider nein.«
»Warum denn nicht?«
Mittlerweile wand sich der Haushofmeister vor lauter Verlegenheit.
»Die Gottesdienerin misst den rituellen Pflichten mehr Bedeutung bei als den weltlichen Dingen. Meine Hauptaufgabe besteht darin, ihr Letztere abzunehmen – allerdings nur nach Absprache mit ihr, wenn es um größere Entscheidungen geht.«
Henat machte keinen Hehl daraus, dass er Chechonq nicht recht glauben wollte.
»Habt Ihr mir auch die ganze Wahrheit gesagt, Chechonq?«
Der Haushofmeister wich seinem Blick aus.
»Bitte versucht, die schwierige Lage zu verstehen, Henat. Die Gottesdienerin ist eine sehr alte, gebrechliche Dame. Es wird immer schwieriger für sie, all ihren Pflichten nachzukommen. Und ich will sie auch nicht vor den Kopf stoßen.«
»Das kann ich verstehen.«
»Ich habe ihr Euer Gesuch um ein Gespräch mit ihr schriftlich vorgelegt. Sobald ich eine Antwort von ihr habe, unterrichte ich Euch. Für die Wartezeit stelle ich Euch einen Tragesessel zur Verfügung. Theben ist so voll von Sehenswürdigkeiten, dass es Euch in den kommenden Tagen nicht langweilig werden dürfte. Bis heute Abend, mein Freund. Meine Untergebenen können es kaum erwarten, Euch kennen zu lernen.«
Henat blieb erstaunlich ruhig.
Was sollte er auch machen? Entweder log Chechonq, und die Gottesdienerin weigerte sich, den Gesandten des Pharaos zu empfangen; oder aber er hatte in etwa die Wahrheit wiedergegeben und die alte Dame war wirklich leidend, wenn sie nicht bereits im Sterben lag. Dann wäre sie aber auch dem Schreiber Kel keine Hilfe.
Also begnügte sich Henat mit der Rolle des überaus zufriedenen Gastes, um nicht das Misstrauen des Haushofmeisters zu
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