Göttergetöse
durchlebte ich noch einmal die Höhen und Tiefen der letzten Tage, als Ihro Gnaden die Erlebnisse aus meinem Hirn holte und sie direkt in das des Bischofs pflanzte.
Er ließ nichts aus. Er wühlte in meinem Kopf, bis er selbst die letzte und kleinste Nuance gefunden hatte, und ließ den guten alten Bischof Melton Carnifan das alles genauso durchleiden, wie ich es durchlitten hatte. So dauerte es nur eine knappe halbe Stunde, und es tat längst nicht so weh wie letztes Mal, weil ich damit gerechnet hatte, daß der Tote Mann meinen Kopf auf den Kopf stellte. Aber der alte Knacker erlebte so hautnah, wie es war, sich direkt mit TunFaires zahllosen Göttern anzulegen.
Es war sehr grausam, vor allem, wenn man es einem Mann antat, der im Grunde seines Herzens Atheist war.
Morpheus stand da und streichelte sich verwirrt das Kinn mit den Fingern, während er beobachtete, wie Carnifans Miene ein ganzes Kaleidoskop verschiedenster Gefühle durchlief. Der Tote Mann hatte ihm keinerlei Informationen gegeben.
Laß dem Bischof Zeit, sich zu orientieren, Garrett.
Das tat ich.
Carnifan erholte sich schnell. Sein Blick wurde wieder scharf. »Ist das wirklich wahr?« wollte er wissen.
»Glauben Sie, daß sich jemand so was Absurdes ausdenken könnte? Genauso ist es passiert.«
»Aber damit kann ich nicht zurückkehren.«
»Dann erfinden Sie doch einfach etwas.« Er verstand nicht, was ich meinte, sondern sah mich nur befremdet an. »Wer wird Ihnen schon glauben?«
Carnifan lächelte tatsächlich, als er endlich kapierte. »Ah, verstehe. Keiner wird es wissen wollen.«
»Was wollten Sie wirklich hier?«
»Nicht das, was ich von Ihnen bekommen habe. Ich habe geglaubt, daß hinter all diesen Vorkommnissen letztlich nur extrem schlechtes Wetter steckte. Und ich dachte, wir könnten die Chance nutzen, um unser Produkt zu verkaufen. Aber jetzt haben Sie mich davon überzeugt, daß die Götter wirklich existieren. Alle, und darunter wahrscheinlich eine ganze Menge, von denen ich noch nie gehört habe. Aber Sie haben mich auch davon überzeugt, daß es noch schlimmer ist, als gar keine Götter zu haben.«
Insgeheim mußte ich ihm zustimmen. »Aber der Glaube daran, was sein könnte… Das ist ein Trost für viele Leute.«
»Und genau das Gegenteil für mich. Das war ein sehr grausamer Tag, Mr. Garrett.« Seine Augen verschleierten sich einen Moment lang. »Es ist noch nicht vorbei, oder? Diese Reinigung. Es sind noch einige Dinge offen. Es gibt Spuren verschiedener Verschwörungen, und einige von ihnen sind noch nicht zu Ende.«
Ich rieb mir die Stirn. Damals, als meine größte Sorge gewesen war, wie unglücklich ich einen Oberboss gemacht hatte, war mein Leben noch glücklich gewesen. Der Bohdan Zhibak fiel mir wieder ein. Zehntausende Schatten waren auf diesen Hügeln gewesen. Jede einzelne dieser Absurditäten wußte nun meinen Namen. Und ich hatte es nicht einmal gemocht, wenn ich den Herren des Hügels aufgefallen war. Wieviel gefährlicher war es wohl, das Interesse eines Gottes zu erregen?
Und das hatte ich. Sonst wäre dieser Schleimscheißer von Bischof nie vorbeigekommen. Sankt Nimmerlein, ja? Der Sprecher des himmlischen Aufsichtsrates. Wahrscheinlich war er genauso aufrichtig wie sein gehorsamer Diener Bruder Carnifan. Ich fragte mich, ob die Priester jeder Kirche und jedes Tempels im Traumviertel bizarre Visionen hatten, in denen ich eine Hauptrolle spielte.
Dann drängte sich mir eine noch schlimmere Vorstellung auf. Würden sie alle hier auflaufen, sich Worte der Weisheit anzuhören, als wäre ich eine Art interreligiöser Prophet?
»Mist! Was für eine Gelegenheit«, sinnierte ich laut. »Ich könnte…«
Morpheus und Bischof Carnifan musterten mich neugierig. Der Tote Mann schickte mir ein mentales Kichern. Wie schade, daß du nicht den geeigneten Überbau dafür hast. Es wäre sehr amüsant, das Prophezeiungsspiel zu spielen, vor allem dann, wenn es uns gelänge, eine Art Vertrag mit den Gottheiten zu schließen.
»Weiders Schwierigkeiten wirken dagegen richtiggehend attraktiv«, sagte ich und wendete mich an den Bischof. »Bruder. Vater. Bischof. Was auch immer. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich hatte heute ein wirklich heftiges Pärchen zu Besuch, und ihr seid keine große Hilfe.«
Der Tote Mann spekulierte weiter. Vielleicht könnte uns Mr. Lou Latsch als Strohmann dienen. Er hat doch eine Zeitlang Interesse daran gehabt, das Fähnchen der Religiosität zu schwingen. Bei einigen Dingen war
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