Götterschild
hinweg. »Aber frag doch Targ, der weiß das bestimmt. Wir alle haben ihm unser Leben zu verdanken.«
Thalia blickte sich erstaunt um und musste feststellen, dass die beiden großen Männer sich ihr unbemerkt von hinten genähert hatten. Unwillkürlich machte sie einen Schritt von ihnen weg, doch der Ältere von beiden ging sofort in die Hocke und streckte besänftigend die Hand aus.
»Keine Angst«, sagte er zu ihr. Er hatte eine warme, freundliche Stimme und sanfte Augen. Thalia brauchte nicht einmal seine Gedanken zu prüfen, um zu wissen, dass ihr von diesem Mann keine Gefahr drohte. »Ich heiße Meatril«, sprach er weiter, »und das ist Targ. Du bist Thalia, nicht wahr?«
Das Mädchen nickte stumm. Mit den Namen der beiden ging es ihr ähnlich wie mit den Gesichtern. Irgendetwas in ihrem Gedächtnis schien sich dabei zu regen, doch es blieb so unbestimmt wie das Rascheln einer Maus unter einem Laubhaufen.
»Kannst du dich noch an uns erinnern?«, fragte Meatril lächelnd. »Es ist eine Weile her, aber du hast bei uns in der Kriegerschule Ecorim gewohnt, zusammen mit Tarana und Daia.«
Thalia hatte keine Lust, sich ins Gedächtnis zu rufen, was gewesen war, bevor die Istanoit Ril sie in ihren Stamm aufgenommen hatten. Irgendwie erschien ihr diese Zeit als ein unheimliches dunkles Loch, um das man am besten einen großen Bogen machte. Aber eine andere Erinnerung kam nun wieder ans Tageslicht, die noch nicht so weit zurücklag.
»Du bist der, den Daia in Seewaith suchen wollte, stimmt’s?«, rief sie an Meatril gewandt aus.
In das Gesicht des großen, freundlichen Mannes schlich sich Erstaunen, gepaart mit etwas Wehmut. »Sie hat nach mir gesucht?«, forschte er nach. »Wann denn?«
»Das ist noch nicht so lange her«, gab Thalia Auskunft. »Sie ist nicht selbst gegangen, weil es zu gefährlich war. Aber sie hat die Batrahirten unseres Stammes gebeten, nach dir zu fragen. Die sind nämlich sowieso nach Seewaith gezogen, um ihre Tiere dort zu verkaufen. Herausfinden konnten sie allerdings nichts.«
»Das war vermutlich die Zeit, in der wir in der Kellerzelle festsaßen«, brummte Meatril vor sich hin.
Aber Thalia fehlte die Geduld, artig die Wissbegierde anderer zu stillen. Sie wollte stattdessen endlich Antwort auf die einzige Frage, die für sie von Bedeutung war.
»Wo ist meine Mutter?«, platzte sie ziemlich unvermittelt heraus.
Meatril wechselte einen betretenen Blick mit dem Jüngeren neben ihm, der Targ hieß, und fuhr sich dann seufzend durch die Haare. »Deine Mutter ist in Seewaith geblieben«, erklärte er. »Wir konnten ja nicht wissen, dass wir dich hier finden würden.«
Thalias Miene hellte sich augenblicklich auf. »Dann geht es ihr gut? Die Männer mit der dunklen Rüstung haben ihr nichts getan?«
Meatril sah nun eindeutig etwas verwirrt aus. Offenbar wusste er mit Thalias Frage nicht viel anzufangen. Unbewusst begann sie nun doch, nach seinen Gedanken zu tasten, da sie unbedingt erfahren musste, was mit ihrer Mutter geschehen war. Plötzlich stand ihr ein Bild von einer hageren, blonden Frau vor Augen, an die Meatril wohl gerade dachte. Sie wirkte so blass und traurig, dass Thalia beinahe wieder die Tränen gekommen wären. »Das ist nicht meine Mutter«, sagte sie bestürzt.
Nun schien Meatril überhaupt nicht mehr zu begreifen, von was das Mädchen sprach. »Wer ist nicht deine Mutter? Belena? Du bist doch Thalia, oder etwa nicht?«
»Ich bin Thalia«, bestätigte diese fast ein wenig trotzig, »aber meine Mutter heißt Tarana und sie wurde von den Leuten entführt, die unseren Stamm überfallen haben. Ich will wissen, wo sie sie hingebracht haben.«
Meatril war so schockiert, dass Wellen des Mitleids und Bedauerns über Thalia hinwegströmten. Doch sie hatte in letzter Zeit mehr als genug dieses überschwänglichen Mitgefühls über sich ergehen lassen müssen. Sie wollte endlich die Wahrheit hören. »Sagt mir sofort, wo meine Mutter ist!«, schrie sie mit mehr Wut als Verzweiflung in der Stimme.
Inzwischen hatte Arlion nach diversen Stürzen und Umwegen die schwierige Strecke quer durchs Unterholz bis zu seiner Schwester ebenfalls gemeistert und kam gerade in dem Moment an, als sie den vollkommen verblüfften Meatril anfauchte. Sofort stellte er sich neben sie, stemmte seine kurzen Arme in die Hüften und blickte die beiden ihm unbekannten Männer so finster an, dass Targ und Meatril sich ein Lächeln nicht verkneifen konnten.
»Und wer ist das?«, erkundigte sich Targ
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