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Götterschild

Titel: Götterschild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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zuzunehmen. Es gab kaum noch etwas, das Thalia tun konnte. Ihr Denken schien zu kochen. Doch sie fühlte noch immer Arlions Präsenz wie eine versteckte Kraftreserve irgendwo im hintersten Winkel ihres Kopfes. Mit einer letzten Willensanstrengung zog sie sich bis in diese entlegene Region ihres Denkens zurück, wo Arlions Bewusstsein an ihrer Seite stand. Sie wusste, die Flammen würden diesen Ort als Letztes erreichen. Hier musste sie ausharren, bis das Feuer entweder erlosch oder aus ihrem gesamten Geist Asche werden ließ.
    ›Ihr seid zwei …‹, wuchsen neue Worte in ihrem Kopf. Thalia meinte, in den Flammen neben unbändigem Zorn auch Verwunderung zu spüren. ›Zwei Junge … Fardjanijunge … ein Nachkomme des Drachentöters … Ikarion … jüngster Spross aus dem Geschlecht des Verräters … des Sprosstöters und … Leben für Leben … bezahlt eure Schuld … jetzt.‹
    Thalia kam es auf einmal so vor, als schlügen die gleißenden Flammen nicht mehr länger in ihre Richtung. Stattdessen wandten sie sich gegen Arlion. Das Feuer begann, auf ihn zuzukriechen, wurde aber stetig schneller. Thalias geistiger Rückzugsort bot Arlion keine Zuflucht mehr. Ebenso wenig wusste sie, wie sie ihren Bruder sonst noch beschützen sollte. Sie war schuld. Vollkommen machtlos wollte sie die Augen zusammenkneifen, um das nahende Ende nicht mit ansehen zu müssen, aber ihre geistige Wahrnehmung ließ sich nicht auf diese einfache Weise ausblenden. Sie würde den heranwabernden Feuertod in allen schrecklichen Einzelheiten wahrnehmen. Sie würde miterleben, wie ihr Bruder starb.
    Mit einem Mal schob sich etwas zwischen sie und das alles verschlingende Feuer. Eine Wand aus Willenskraft baute sich vor dem bedrohten Geist der beiden Kinder auf, um den Flammen Einhalt zu gebieten. Doch Thalia fühlte nicht nur die immense Macht dieser schützenden Barriere, sondern eine beinahe ebenso starke Furcht, welche ständig an dem Fundament dieses Walls zu rütteln schien.
    ›Verschone diese Kinder, großer Drache!‹, rief eine kräftige Geistesstimme, die Thalia sofort als die Zottelbarts erkannte. Er ließ sie nicht im Stich! ›Du kennst mich‹, sprudelten Hadors Gedanken weiter, ›ich habe schon einmal durch die Drachenschuppe zu dir gesprochen, dereinst, als ich noch König dieses Landes war. Ich fragte dich damals, ob du mir gegen meine Feinde beistehen würdest …‹, sein Denken geriet ins Stocken, … doch du hast mir Bedingungen gestellt, die ich nicht bereit war zu erfüllen.‹
    ›Noch ein Ikarion‹, baute sich die Antwort in Thalias Kopf auf, ›Erinnerung … Hüter der Götterklingen … verborgen hinter Göttermauern … bestürmt von Götterdienern … Verzweiflung … Beistand des Drachen … für den Preis eines Lebens … Ikarionblut für Drachenblut … zur Erneuerung des Bundes.‹ Es trat eine beklemmende Pause ein. Thalia hatte zwar schon genug mit ihrer eigenen Angst und der ihres Bruders zu kämpfen, dennoch kam sie nicht umhin, die widersprüchliche Mischung aus Gefühlen zu bemerken, die das aus Feuer bestehende Denken des Drachen beherrschten. Die Flammen waren unzweifelhaft ein Abbild seines Zorns, doch in der tödlichen Glut gab es noch weit mehr zu entdecken. Es schien fast so, als würde dieser Brand genährt durch Kummer und Einsamkeit, die so unermesslich waren, dass das Drachenfeuer darauf noch Jahrhunderte hätte weiterbrennen können. Eine plötzliche Welle unwillkürlichen Mitgefühls strömte über Thalia hinweg – aller Angst zum Trotz. Dieses Wesen, so schrecklich es sich auch gebärden mochte, empfand einen tiefreichenden, unauslöschlichen Schmerz, den niemand wirklich nachfühlen konnte, der nicht wie diese Kreatur bereits tausend Jahre und länger gelebt hatte.
    ›Mitleid?‹ Der Geist des Drachen, der diese Frage in ihrem Kopf entstehen ließ, studierte eine Weile ihr Bewusstsein wie ein verwundertes Raubtier, das den Wanderer durch sein Revier erst einmal eingehend mustert, bevor es sich entscheidet, ihn zu fressen oder ihn wieder seiner Wege ziehen zu lassen. Thalia wusste nicht, was sie erwidern sollte, aber vielleicht bedurfte es auch gar keiner Antwort.
    ›Deine alten Feinde sind von Neuem erstarkt‹, fuhr Zottelbart mit seinen hektischen, aber erstaunlich klaren Erklärungen fort. ›Wieder belagern sie Arch Themur, doch diesmal steht ungleich mehr auf dem Spiel als beim letzten Mal. Wenn sie siegen, fallen ihnen beide Götterklingen zu. Sie werden über dieses Land

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