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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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beharrte Abu Dun.
Andrej setzte zu einer ärgerlichen Antwort an, kam aber nicht mehr dazu, denn irgendetwas – vermutlich eine flache Hand – klatschte lautstark auf die Zeltplane über ihren Köpfen, und eine Stimme zischte in scharfem Flüsterton: »Seid still, habe ich gesagt! Wollt ihr, dass sie uns erwischen?« Andrej war still; so schwer es ihm auch fiel.
Der Wagen rumpelte in an den Nerven zerrend langsamem Tempo über das unebene Kopfsteinpflaster der Straßen, krachte immer wieder in Schlaglöcher oder hüpfte über Unebenheiten und Hindernisse, sodass Andrej mehr als einmal Angst hatte, das altersschwache Gefährt würde einfach auseinanderbrechen. Mehr als einmal hörte es sich auch ganz so an. Abu Dun und er wurden so kräftig durchgeschüttelt, als befänden sie sich mitten in einem Wagenrennen, bei dem es um Leben und Tod ging, nicht auf der Ladefläche eines Eselkarrens, der kaum im Schritttempo dahinrollte. Mehrfach wurde der Nubier so heftig gegen ihn geschleudert, dass ihm die Luft wegblieb oder es ihm die Zähne schmerzhaft aufeinanderschlug.
Gordons Warnung stellte sich jedoch als nur zu berechtigt heraus. Eingesperrt in fast vollkommene Dunkelheit und allein mit seinen Gedanken, die immer düsterere Pfade beschritten, sobald er nicht aufpasste, verlor Andrej beinahe jedes Zeitgefühl. Die Fahrt kam ihm endlos vor, und bis sie ihr Ziel endlich erreichten, wurden sie viermal angehalten; einmal auch für eine geraume Weile, in der es zu einer hitzigen Diskussion zwischen Rodriguez und einigen Männern kam, die Andrej durch seinen schmalen Sehschlitz nicht erkennen konnte, die sich aber von der Uniform des Colonels ganz offensichtlich wenig beeindruckt zeigten. Seine Hand wollte unter dem Gürtel schon nach dem Schwertgriff tasten, und er spürte auch, wie sich Abu Dun neben ihm anspannte, doch da war der gefährliche Moment vorbei, und sie fuhren weiter.
Endlich erreichten sie den Hafen. Andrej sah durch den schmalen Spalt im Segeltuch in der Dunkelheit nichts weiter als schmutzige Wände und dann und wann einen vorüberhastenden Schemen, aber der üble Geruch der Stadt machte dem kaum weniger unangenehmen Gestank des Hafens Platz, und sie hörten das Knarren der Schiffsrümpfe, das träge Schwappen der Wellen und das schwere Knarren von nassem Segeltuch, das schlaff von den Rahen hing. Der Wagen kam zum Stehen. Andrej wollte die Hand heben, um die Plane beiseitezuschlagen und seine Lungen endlich wieder mit frischer Luft zu füllen, doch Abu Dun ergriff (mit deutlich mehr Kraft, als notwendig gewesen wäre) seinen Arm und hielt ihn zurück. Erst, als rasche Schritte den Wagen umrundeten und das Segeltuch mit einem Ruck zurückgeschlagen wurde und den Anblick auf Gordons breites Grinsen freigab, ließ der Nubier ihn los.
Andrej gefiel Abu Duns Verhalten nicht. Schon durch seine Statur und gewaltige Körperkraft war er gewiss nicht die Sanftheit in Person – doch in den letzten Tagen hatte sein Benehmen eine andere Qualität angenommen. Manchmal hatte Andrej das Gefühl, dass er ihn mehr und mehr wie einen Fremden behandelte, einen Fremden zudem, von dem er nicht wusste, ob er ihm trauen konnte.
»Wir sind da«, erklärte Gordon, als wenn dies nicht offensichtlich gewesen wäre. »Rasch jetzt. Und keinen Laut!« Er streckte die Hand aus, um Andrej aufzuhelfen, doch der ignorierte die Geste, glitt von der Ladefläche des Karrens und streifte endlich den verhassten schwarzen Umhang ab, den er über seinem eigenen Mantel trug. Erst jetzt fiel ihm auf, wie erbärmlich der Stoff stank; nach getrocknetem Schweiß, aber auch nach Blut. Der Mann, dessen Kleidung und Maske er sich ausgeborgt hatte, war offensichtlich kein Neuling im Henkersgewerbe gewesen. Angewidert knüllte er den Fetzen zusammen, warf ihn auf den Wagen und fuhr sich anschließend mehrmals heftig mit den flachen Händen über die Kleidung, als könnte er den üblen Geruch auf diese Weise abwischen.
Gordon sah ihm einen Moment lang stirnrunzelnd zu und blickte dann auf den abgelegten Mantel. »Lebt er noch?«, fragte er schließlich.
»Wer?«
»Der Henker.«
»Ja«, antwortete Andrej und zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich. Ganz sicher bin ich nicht.«
»Wie bedauerlich«, sagte Gordon. »Ich kenne den Kerl. Wäre nicht schade um ihn gewesen.«
»So wie um die anderen?«, fragte Andrej.
»Welche anderen?«
Gordon wusste sehr gut, wovon er sprach, aber Andrej schluckte seinen Ärger herunter und machte eine Kopfbewegung in die Richtung,

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