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Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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und hinter ihnen kamen weitere herangestürmt.
Abu Dun musste das wohl ganz ähnlich sehen, denn er hob ganz langsam die Arme und bedeutete ihm mit einem Nicken, dasselbe zu tun. Andrej zögerte zwar noch einen Moment, ließ Gunjir aber dann ebenfalls sinken; auch wenn er das Schwert nicht einsteckte, sondern seine Spitze in die Decksplanken rammte, um die mehr als armlange Klinge als improvisierte Krücke zu benutzen. »Ich wusste immer, dass diese Scheißdinger eines Tages mein Untergang sein werden«, murmelte er – vorsichtshalber auf Deutsch, der Sprache, die sie meistens benutzten, wenn sie nicht verstanden werden, aber auch keine so exotische Sprache benutzen wollten, dass sie allein deshalb Aufsehen erregten.
Abu Dun lächelte nur humorlos, aber die Soldaten reagierten zu Andrejs nicht geringem Erstaunen auf seine Worte, indem sie ihre Waffen zwar keineswegs sinken ließen, aber ein gutes Stück zurückwichen. Sie wirkten nun angespannt, aber nicht mehr ganz so feindselig. Andrej verlagerte sein Gewicht behutsam ganz auf das unverletzte Bein und wagte es zum ersten Mal, wirklich an sich hinabzusehen. Sein linker Stiefel war verbrannt, und die Sohle entweder komplett zu Asche verschmort oder auf dem Kanonenlauf zurückgeblieben, den er leichtsinnigerweise als Kletterhilfe missbraucht hatte. Bei den schlechten Lichtverhältnissen waren die Verbrennungen an seinem Fuß kaum zu sehen, aber dafür spürte er sie umso mehr, und auch sein Hörvermögen kehrte nicht annähernd so schnell zurück, wie es sollte. Aus dem feinen Summen in seinen Ohren war immerhin ein unrhythmisches Rauschen und Dröhnen geworden, aber es fiel ihm noch immer schwer, einzelne Laute zu identifizieren. Was er von den Geräuschen der Schlacht hörte, das schien durch einen Berg aus Watte an sein Ohr zu dringen.
Dann vernahm er doch etwas, drehte sich – vorsichtig – um und begriff erst, dass es eine menschliche Stimme war, als er Rodriguez mit weit ausgreifenden Schritten auf sich zukommen sah. Der Colonel sah nass und mitgenommen aus wie sie alle. Seine Kleider hingen in Fetzen, und er blutete aus einer hässlichen Schnittwunde am Hals, wirkte darüber hinaus aber eher aufgeregt als besorgt. Dabei schien er sich mehr um Abu Dun und Andrej, als um sich selbst zu sorgen, obwohl er sich doch gerade einer Abteilung sehr nervöser und mit Musketen bewaffneter Briten näherte, die dabei waren, das Flaggschiff König Philipps zu entführen.
»… nicht nötig … ñor«, glaubte Andrej zu verstehen – und auch das nur, weil er von Rodriguez’ Lippen las und er die verzerrten Wortfetzen halbwegs zusammenbrachte. Rodriguez begann mit beiden Händen zu gestikulieren und beeilte sich, noch schneller heranzuhumpeln. Andrej vermochte nicht zu entscheiden, ob er tatsächlich hinkte, weil er verletzt oder zu Tode erschöpft war, oder einfach Mühe hatte, sich auf dem bockenden Deck auf den Beinen zu halten. Trotz ihrer enormen Größe schwankte und stampfte die EL CID unter dem Rückstoß ihrer zahllosen Kanonen wie ein winziges Boot im Sturm. Selbst hier oben stank die Luft inzwischen so durchdringend nach Schwefel und Pulverdampf, dass ihm das Atmen schwerfiel. Wohin er auch sah, schien das Wasser zu brennen.
»Das ist nicht notwendig, Señor«, flüsterte Rodriguez. Sein Gesichtsausdruck verriet Andrej, dass er wohl aus Leibeskräften schrie, aber alles, was bei ihm ankam, war ein dünnes Wispern, das von den unablässig dröhnenden Kanonenschüssen wie von höllischem Trommelwirbel in asymmetrische Fetzen zerhackt wurde. »Es besteht keine Gefahr für Euch oder Euren Freund, Señor Delãny! Aber Ihr solltet die Waffe einstecken! Die Männer sind ein wenig nervös, wie Ihr Euch vielleicht vorstellen könnt, aber Ihr habt nichts zu befürchten, wenn Ihr jetzt keinen Fehler macht, glaubt mir!« Er las einen Moment in Andrejs Gesicht. »Ich weiß, wie seltsam sich das anhören muss, aber es ist alles in Ordnung, Señor Delãny. Bitte steckt das Schwert ein und begleitet diese Gentlemen unter Deck.«
    Gentlemen? Überrascht setzte Andrej zu einer Bemerkung an und zog dann stattdessen den Kopf ein, als ein gedämpftes Heulen erklang und ein verschwommener Schemen über sie hinwegrauschte, um mit gewaltiger Wucht in die Deckaufbauten hinter den Soldaten zu hämmern. Der Kanonier, der die Kugel abgefeuert hatte, war unerfahren oder in zu großer Hast gewesen und hatte ein Massivgeschoss gewählt, das nicht beim Aufprall explodierte, doch allein seine

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