Goettersterben
Männer säßen freiwillig an den Rudern, und das mag stimmen … aber glaubt mir, so groß ist der Unterschied nicht.«
Andrej hätte ihm sagen können, wie sehr er sich irrte. Er war auf einem Schiff wie diesem gewesen, und allein der Anblick ließ ihn den Schmerz der rostigen Handfesseln noch einmal spüren, die grausame Hitze und den Durst, die allein dafür sorgten, dass die Männer an den Rudern wie die Fliegen starben, bevor sie der Schlacht auch nur nahe kamen, und das ununterbrochene Knallen der Peitsche, die Schreie und der Gestank nach Blut und Tod …
»… alle Galeeren außer Dienst stellen, dann würde es wohl noch ein gutes Jahr länger dauern, bis die Armada in den Krieg zieht«, sagte Gordon gerade. Andrej blinzelte die Schreckensbilder aus einer längst noch nicht vergessenen Vergangenheit fort und versuchte Interesse zu heucheln. »Ist das so?«
»Vielleicht ein wenig übertrieben«, räumte Gordon ein. »Aber nicht sehr, glaubt mir. Und die Ninja ist auch etwas Besonderes.«
»Weil sie Euch gehört«, vermutete Andrej.
Gordon verzog die Lippen immerhin zur Andeutung eines Lächelns, schüttelte aber auch den Kopf und forderte Andrej auf, weiterzugehen. »Auch das«, gestand er. »Vielmehr aber, weil keiner meiner Männer gezwungen wird, hier zu arbeiten. Ich weiß, man sieht es ihr nicht an, aber ich habe hier die beste Mannschaft, die Ihr Euch nur vorstellen könnt. Jeder dieser Männer würde für seine Kameraden durchs Feuer gehen, und sie alle zusammen für mich.«
Andrej setzte sich gehorsam in die Richtung in Bewegung, die Gordon ihm bedeutet hatte, sagte aber trotzdem: »Ich glaube Euch gerne, Capitan, aber ihr bemüht Euch dennoch umsonst. Ich bin nicht für die Seefahrt geschaffen, fürchte ich. Und Abu Dun auch nicht.«
Gordon seufzte. »Nun, einen Versuch war es wert. Zwei so gute Männer wie Euch und Euren Freund könnte ich wirklich gebrauchen.«
»Das glaube ich gern«, antwortete Andrej mit einem schrägen Blick auf die leeren Ruderbänke. Gordon grinste.
»Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, woher Ihr wusstet, dass ich komme, Capitan«, sagte Andrej. »Und das werde ich auch nicht, bevor Ihr mir nicht die Freude gemacht habt, einen Becher Wein mit mir zu trinken«, antwortete Gordon fröhlich. »Nur keine Sorge. Wir haben Zeit. Colonel Rodriguez wird wohl erst bei Morgengrauen zu uns stoßen.«
Falls er dann noch lebt, dachte Andrej. Aber er sah auch ein, dass Gordon auf seiner närrischen Einladung bestehen würde und es vermutlich das Einfachste war, ihm seinen Willen zu lassen. Vielleicht war es auch besser, nicht vor all diesen Männern über Rodriguez und Loki zu sprechen. Ganz egal, was Gordon auch behauptete: Wenn er jemals eine Bande von Halsabschneidern und Piraten gesehen hatte, dann sie. Gordon führte ihn zu einer Tür am anderen Ende des Schiffes (der einzigen, die es gab), vor der ein hünenhafter Mann mit vernarbtem Gesicht Wache hielt, die Arme vor der Brust verschränkt. Andrej erkannte Jacques’ unangenehme Aura, noch bevor Gordon ihn mit einer unwilligen Geste zur Seite scheuchte. Seine Gefühle dem Piraten gegenüber schienen auch nicht unerwidert zu bleiben. Jacques maß ihn mit einem Blick, der ihn zu der Überzeugung brachte, dass es besser war, dem Kerl niemals den Rücken zuzudrehen.
Hinter der Tür erwartete ihn eine Überraschung. Der Raum, in den sie traten, hätte ebenso gut die Kapitänskajüte eines x-beliebigen Linienschiffs sein können, wie sie zu Dutzenden im Hafen lagen. Er war durchaus vornehm eingerichtet. Ein Fenster war sogar mit kostspieligen Butzenscheiben versehen, das sich über die gesamte Rückwand des Raumes zog. Aber man sah ihm auch an, dass sein Bewohner dort, wo es notwendig war, mehr Wert auf Zweckmäßigkeit als auf Luxus gelegt hatte.
»Bevor Ihr es sagt, Andrej, Ihr habt recht«, sagte Gordon. Andrej hatte nicht vorgehabt, irgendetwas zu sagen, aber Gordon musste, als aufmerksamer Beobachter, seinen überraschten Blick auch jetzt bemerkt haben.
»Bei meiner Kajüte habe ich mir die eine oder andere historische Freiheit erlaubt, ich gebe es zu. Ein wenig Luxus dann und wann steht einem Kapitän nicht nur zu, sondern bildet auch seinen Geist, hat man mir gesagt. Und dieses Fenster …« Er hob fast verlegen die Schultern. »Das Einzige, was mir nie an diesem Schiff gefallen hat, war die Dunkelheit unter Deck. Ich liebe Sonnenlicht. Also habe ich es einbauen lassen.« Plötzlich grinste er. »Genauer gesagt hat Kapitän Drake
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