Goettersterben
lassen, dass Ihr herkommt und vielleicht meine Hilfe benötigt. Nicht, wie diese aussieht. Aber vielleicht warten wir besser, bis er hier ist und …«
»Ich fürchte, er wird nicht kommen«, unterbrach ihn Andrej.
Andrej berichtete dem verstörten Gordon mit knappen Worten, was passiert war. Natürlich hütete er sich, ihm die Wahrheit zu sagen, sowohl was den vermeintlichen Kriegsgefangenen als auch seine Vermutung anging, de Castellos wahre Identität betreffend. Gordon hörte ihm schweigend, aber mit zunehmend finsterer Miene zu und sagte auch nichts, als Andrej schließlich zu Ende gekommen war und ihn erwartungsvoll ansah. »Das ist der Grund, aus dem ich hier bin, Capitan«, fügte Andrej schließlich hinzu. »Nicht, um mich mit Colonel Rodriguez zu treffen. Ich hatte gehofft, Ihr könntet mir ein wenig über dieses Gebäude erzählen.« »Ich verstehe«, sagte Gordon. »Und jetzt erwartet Ihr, dass ich Euch einen genauen Lageplan zeichne, am besten noch mit einem geheimen Gang, durch den Ihr ungesehen hinein- und herauskommt, um Euren Freund zu befreien?« Er schüttelte den Kopf. Andrej war nicht entgangen, dass er Rodriguez nicht einmal erwähnt hatte. »Ich muss Euch enttäuschen, Andrej. Ich weiß nichts über diesen Turm.«
»Ich dachte, Cádiz wäre Euer Heimathafen«, sagte Andrej.
»Heimathafen?« Gordon lachte leise. »Unsere Heimat ist das Meer, Andrej. Wir bleiben niemals wirklich lange irgendwo. Seeleute gehören auf die See, nicht an Land. Und selbst, wenn es anders wäre«, fügte er mit leicht erhobener Stimme hinzu, als Andrej etwas sagen wollte, »könnte ich Euch nicht helfen. Niemand weiß etwas über diesen Turm, und kaum einer von denen, die hineingegangen sind, ist jemals wieder herausgekommen, um davon zu berichten.«
»Ich verstehe«, antwortete Andrej mit einer genau bemessenen Spur von Spott in der Stimme. »Er ist verflucht.«
»Wer weiß«, antwortete Gordon vollkommen ernst. »Ein Mann wie Ihr mag darüber lachen, Andrej, aber ich glaube durchaus, dass es böse Orte gibt. Sollte das so sein, dann gehört dieser alte Festungsturm ganz sicher dazu.« Dann schüttelte er den Kopf, wie um seinen eigenen Worten im Nachhinein etwas von ihrer Schärfe zu nehmen. Er versuchte sogar zu lächeln, doch es misslang. »Es heißt, die Mauren hätten dort ihre Gefangenen gefoltert. Furchtbare Dinge sollen dort geschehen sein. Manche erzählen sich, dass man nachts noch immer die Schreie der Gequälten hört, und ihr verzweifeltes Flehen, endlich sterben zu dürfen. Was natürlich Unsinn ist.«
»Natürlich«, pflichtete ihm Andrej bei. Ohne das Gebäude gesehen zu haben, wusste er, dass er sowohl Loki als auch jeden, der in seinen Diensten stand, dort finden würde. Die kettenrasselnden Gespenster und unheimlichen Stimmen in der Nacht aus Gordons Geschichte gehörten ganz sicher ins Reich der Legenden, doch auch er wusste, dass es so etwas wie böse Orte gab. Plätze, die so viel Leid und Schrecken gesehen hatten, dass sie es nicht mehr loswurden, Orte, die verdorben waren von zu viel Schlechtigkeit und Hass und nun ihrerseits jeden verdarben, der ihnen zu nahe kam. Möglicherweise hörte man die Schreie und das Wehklagen der Toten dort tatsächlich, wenn auch nicht so, wie Gordon behauptet hatte, sondern mit der Seele. Orte wie diese zogen Kreaturen wie Loki an. Er schwieg. »Ihr habt tatsächlich vor, Euren Freund dort herauszuholen?«, fragte Gordon, plötzlich sehr ernst. »Wäre das so erstaunlich, Capitan?«, fragte er. »Ihr habt es selbst gesagt: Abu Dun ist mein Freund.« »Das ist nobel«, antwortete Gordon. »Der Mann, der Euch zum Freund hat, kann sich glücklich schätzen … aber es ist auch Wahnsinn.«
»Warum?«
»Wie viele Soldaten braucht man, um fünfhundert Gefangene zu bewachen?«, fragte Gordon seinerseits. »Viele, nehme ich an«, sagte Andrej. »Warum?« »Weil sie dort drinnen auf Euch warten würden, Andrej«, erwiderte Gordon. »De Castello lässt nicht nur jeden in diesen Turm werfen, der seine Pläne stört, sondern hält dort auch seine britischen Arbeitssklaven gefangen. Es sind gefährliche Männer. Soldaten wie die, die sie bewachen, und Männer, die wissen, was sie erwartet, und die nichts zu verlieren haben. De Castello wird sie gut bewachen lassen. Ihr hättet keine Chance, glaubt mir.«
Es wäre nicht das erste Gefängnis, in das er ein- oder auch ausgebrochen wäre, und auch nicht das erste, das gut bewacht war. Gordons Blick machte deutlich genug, dass er
Weitere Kostenlose Bücher