Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Goettersterben

Titel: Goettersterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
glatt an wie Eis, als er die Hand ausstreckte und ihre Finger berührte, und ihr Schmerz schien wie eine unsichtbare Flamme auf ihn überzuspringen, ohne ihm etwas anhaben zu können. Doch dann geschah etwas Sonderbares: Gerade, als Andrej behutsam nach ihren Gedanken tasten und den Quell dieser furchtbaren Pein erforschen und – vielleicht – betäuben konnte, öffnete sie die Augen und sah ihn an. »Ich weiß, was du bist«, flüsterte sie.
Andrej war so überrascht, dass er die Hand zurückziehen wollte, aber jetzt war es die junge Frau, die nach seinen Fingern griff und sie mit überraschender Kraft festhielt. »Wirst du ihn für mich töten?«
»Das habe ich schon«, antwortete Andrej. »Der Mann, der dir das angetan hat, ist tot.«
»Der, der Schuld daran trägt, nicht«, antwortete sie. Ihr Griff wurde so fest, dass er beinahe wehtat.
»Der … Schuld daran trägt?«, wiederholte Andrej überrascht. Aber wiekonntesiedas wissen? Das war unmöglich!
»Paolo hat es mir erzählt«, antwortete sie, fast als hätte er die Worte laut ausgesprochen.
»Paolo? Dein Mann?«
»Er hat gesagt, dass jemand in der Stadt ist. Etwas. Etwas sehr Böses, dass uns allen den Untergang bringen wird. Er hat es gewusst. Ich habe ihm nicht geglaubt, aber er hat es gewusst.«
»Hat er dir gesagt, wer dieser … Böse ist?«, fragte Andrej.
»Er hat es gewusst, und er hat gesagt, dass wir aus der Stadt weggehen«, murmelte Esmeralda. Ihre Stimme war ebenso leer wie ihr Blick. »Gleich nachdem die Flotte ausgelaufen ist, wollte er fortgehen.«
Andrej schwieg. Was sollte er auch sagen? Worte konnten so unendlich viel Schaden anrichten, und in einem Moment wie diesem so unendlich wenig helfen. »Wirst du ihn für mich töten?«, fragte sie. »Du bist so wie er. Ich weiß, dass du es kannst. Wirst du es für mich tun?«
»Nein«, antwortete Andrej ehrlich. »Nicht für dich. Aber ich werde ihn töten, das verspreche ich dir.«
»Dann ist es gut«, antwortete Esmeralda. Es waren die letzten Worte, die Andrej je von ihr hörte.
Gordon erwies sich zwar als – zumindest im Rahmen seiner Möglichkeiten – nahezu perfekter Gastgeber, darüber hinaus aber als nicht annähernd so nützlich, wie Andrej gehofft hatte. Esmeralda hatte ihr ungutes Schweigen nicht noch einmal gebrochen, nachdem der Kapitän der Ninja zurückgekehrt war, und Andrej hatte keinen Sinn darin gesehen, Gordon irgendetwas von ihrem kurzen Gespräch zu erzählen. Sie hatte auch das Getränk abgelehnt, das Gordon gebracht hatte – dem Geruch nach zu schließen, einen Becher kochend heißen Rums mit einem winzigen Schuss Tee –, sodass er es kurzerhand selbst herunterstürzte, um dengutenTropfen nicht umkommen zu lassen. Nach fünf oder sechs weiteren vergeblichen Versuchen, mit ihr ins Gespräch zu kommen, hatte Gordon es schließlich aufgegeben und sie in eine kleine Nebenkammer geführt, in der ein schmales, wenngleich überraschend bequemes Bett stand. An der Innenseite der Tür gab es einen kompliziert aussehenden Riegel, dessen Funktionen Gordon der jungen Frau erklärte, auch wenn sie beide das Gefühl hatten, sie würde auch weiter nicht wirklich zuhören. Nachdem Andrej und er die Kammer wieder verlassen und die Tür hinter sich zugezogen hatten, warteten sie vergeblich auf das Geräusch, mit denen der Riegel einrasten würde. »Eine wirklich bedauernswerte Frau«, sagte Gordon. »Es ist gut, dass Ihr den Kerl getötet habt, der ihr das angetan hat.«
»Das macht es nicht besser«, sagte Andrej. »Und ihren Mann und die Kinder nicht wieder lebendig.«
»Nein«, stimmte ihm Gordon zögernd zu, maß ihn aber mit einem seltsamen Blick, als könnte er sich nur noch mit Mühe zurückhalten, etwas gänzlich anderes zu sagen, von dem Andrej sehr sicher war, dass es ihm nicht gefallen würde. »Aber manchmal hilft Rache, den Schmerz besser zu ertragen.«
»Das klingt, als wüsstet Ihr, wovon Ihr sprecht«, sagte Andrej.
Gordon setzte zu einer Antwort an, machte aber dann nur eine wegwerfende Handbewegung und wechselte sowohl das Thema als auch den Ton. »Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, warum Ihr eigentlich gekommen seid, Andrej.«
Andrej war so verblüfft, dass er den Schwarzhaarigen eine Sekunde lang einfach nur anstarrte und sich fragte, ob das nun Dummheit oder Dreistigkeit war, die ihn diese Frage stellen ließ. »Wie?«
Gordon brachte aber vorsichtshalber einen weiteren Schritt Abstand zwischen Andrej und sich. »Colonel Rodriguez hat mir lediglich ausrichten

Weitere Kostenlose Bücher