Goettersterben
lang mit dem Gedanken, sich noch einmal an Bord zu schleichen, um das Geheimnis dieses Schiffes zu ergründen – schließlich würde es auch ein hervorragendes Versteck abgeben, war es doch wahrscheinlich in ganz Cádiz der Ort, an dem Loki ihn am wenigsten vermuten würde –, und er hätte es möglicherweise sogar getan, hätte er nicht in diesem Moment eine Bewegung wahrgenommen. Automatisch wich er wieder in die Schatten zurück und erwartete, eine neuerliche Patrouille zu erblicken.
Stattdessen näherte sich ihm eine einzelne schlanke Gestalt. Sie trug einen offenen, dunklen Mantel, unter dem ein einfaches weißes Kleid schimmerte, und hatte nahezu hüftlanges schwarzes Haar, und vielleicht war es der verzehrende Schmerz, der in ihrer Seele wühlte, der Andrej die Frau erkennen ließ, noch bevor sie nahe genug war, dass er ihr Gesicht sehen konnte.
Was um alles auf der Welt tat Gonzales’ Witwe hier? Andrej wartete, bis sie an seinem Versteck vorbeigegangen war, ließ ihr gute zwei oder drei Schritte Vorsprung und folgte ihr dann in vorsichtigem Abstand. Die junge Frau passierte die EL CID, ohne von dem anzüglichen Pfiff des Postens Notiz zu nehmen, der am Fuße des Fallreeps Wache hielt, und steuerte ein sehr viel kleineres Schiff an, das neben der EL CID lag und in deren Nachbarschaft nicht mehr klein, sondern geradezu zwergenhaft wirkte. Selbst sein Hauptmast erreichte kaum die Höhe des Decks der EL CID.
Es war die Ninja , Kapitän Gordons altertümliche Galeere. Andrej hatte immer noch nicht vor, Rodriguez’ Rat zu folgen und bei dem zwielichtigen Seemann Unterschlupf zu suchen, aber er fragte sich, warum diese Frau hierher gekommen war, und so folgte er ihr nicht nur weiter, sondern schloss etwas mehr zu ihr auf. Sie wurde erwartet. Die Planke führte vom Kai zum Deck der Ninja hinunter, statt in steilem Winkel nach oben, wie bei der danebenliegenden EL CID, aber auch dort ein Posten, der vor Ungeduld von einem Fuß auf den anderen trat. Er wirkte erleichtert, als Gonzales’ Witwe vor ihm auftauchte, und trat hastig zurück und bedeutete ihr mit einer ungeduldigen Geste, zum Schiff hinunterzugehen. Und Andrej entgingen auch nicht die nervösen Blicke, die er in die Runde warf, bevor er ihr folgte.
Andrej entschied sich um und gab seine Deckung auf, um den beiden mit schnellen Schritten zu folgen. Gonzales hatte das Deck der Ninja bereits erreicht, wo sie von einer zweiten Gestalt in Empfang genommen wurde, während ihr Begleiter auf halber Höhe der Planke herumfuhr und nach seiner Waffe griff.
»Das wird nicht nötig sein, mein Freund«, sagte Andrej rasch. »ich bin auf der Suche nach Capitan Gordon. Das hier ist doch sein Schiff, oder?«
Der Mann antwortete nicht, trat Andrej aber einen weiteren Schritt entgegen und zog mutig sein Schwert. Andrej war einen guten Kopf größer als er, stand in einer erhöhten Position und trug seine Waffe deutlich sichtbar am Gürtel. Und er spürte, dass es ein schlechter Mann war, ein Räuber, Mörder und Dieb, um den es gewiss nicht schade war. Andrejs Hand glitt ganz ohne sein Zutun zum Gürtel und näherte sich dem Schwertgriff, und …
»Lass den Mann passieren, Jacques«, befahl die Gestalt neben Gonzales. »Ich kenne Señor Delãny. Ich erwarte ihn.«
Andrej zog demonstrativ die Hand vom Schwertgriff zurück und ging mit schnellen Schritten an dem Mann vorbei. Gordon – er hatte seine Stimme erkannt, nicht sein Gesicht – wechselte noch ein paar geflüsterte Worte mit Gonzales, dann wandte er sich ganz zu Andrej um und begrüßte ihn mit einem knappen Nicken. »Ihr kommt spät, Señor Delãny.«
Der Mann zögerte noch einen Moment, in dem er Andrej ganz unverhohlen misstrauisch anstarrte, dann rammte er seine Waffe in den Gürtel zurück und gab mit einem trotzigen Schnauben den Weg frei.
»Ihr habt mich erwartet?«, fragte Andrej überrascht. »Einen Moment Geduld«, bat Gordon, trat an ihm vorbei und winkte den Posten herunter. »Bring Señora Gonzales in meine Kabine, Jacques«, sagte er in verändertem, scharfem Ton. »Und halt vor der Tür Wache, bis ich nachkomme. Sie ist mein persönlicher Gast. Du haftest mir für ihre Sicherheit.«
Der Mann machte einen großen Bogen um Andrej, und er glaubte erneut, einen üblen Geruch wahrzunehmen, der ihn umgab. Aufmerksam sah Andrej zu, wie er neben die junge Frau trat und ihr ungelenk seinen Arm anbot. Die Witwe reagierte nicht auf das Angebot, folgte ihm aber wortlos.
»Seid Ihr sicher, dass er der Richtige
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