Göttertrank
selig, hat eine Dampfmaschine gebaut«, erklärte Nettekoven, und Alexander hörte Trauer in seiner Stimme.
»Ich verstehe mich auf Dampfmaschinen. Wenn Sie wollen, prüfe ich, wie man sie hier einsetzen kann.«
»Mir sind die Dinger nicht ganz geheuer, aber der Sohn hat sich darin verbissen. Hat sich auf Dampfschiffen verdingt. Als Maschinist. Um mehr darüber zu lernen. Tja, und dann hat er sein Leben dabei gelassen.«
»Ich habe es gehört. Es tut mir leid, Herr Nettekoven.«
»Und der Hannes ist blöd geblieben. Aber er ist ein guter Jung.«
Vor einigen Jahren, dachte Alexander, hätte ihn das Schicksal dieses Mannes völlig kalt gelassen. Vermutlich hätte er auch nie und nimmer eine solch erbärmliche Stelle angenommen. Aber in der Zwischenzeit hatte sich einiges geändert. Er war einunddreißig Jahre alt, hatte – wie er nun wusste – aus Leichtsinn und Übermut seine einflussreiche Familie verloren, sich aus eigener Kraft hochgearbeitet und aus eigener Kraft in die Scheiße gesetzt. So sah er es, und die Einsicht der letzten Tat hatte ihn toleranter gegen Schwächen und Fehler anderer gemacht. Er verspürte hier, in dem altertümlichen Pferdegöpel, den Wunsch, dem Werkzeugmacher zu helfen.
»Zeigen Sie mir die Maschine«, bat er.
Es war ein ordentliches Stück Handwerkskunst, was der junge Nettekoven da zusammengeschmiedet hatte. Alexander untersuchte das Maschinchen gründlich, machte sich ein paar Notizen und begann zu zeichnen und zu berechnen. Eine Woche später saßen er und der Schmied zusammen und besprachen die notwendigen Änderungen, die Teile, die verbessert oder neu gemacht werden mussten. Im Oktober fauchte das erste Mal das Ventil des Wasserkessels. Im Beisein aller Arbeiter und Handlanger, Nettekovens und seiner Familie legte Alexander den Hebel um, und der heiße Dampf schoss in den Zylinder. Ganz langsam schob sich der Kolben vor und bewegte die Pleuelstange, kehrte zurück, bewegte sich rascher vorwärts, zurück, vor, zurück... Schneller und schneller eilte der Kolben hin und her, trieb die Pleuelstange das große Schwungrad an, griffen die Zahnräder der Übersetzung ineinander und hätten die Transmissionswelle in Rotation versetzt, wäre sie bereits eingekuppelt gewesen.
Begeistert applaudierten die Arbeiter und Nettekoven vor der Maschine.
»Zwanzig Pferdestärken, schätze ich. Und man könnte noch mehr herausholen. Wollen Sie sie einsetzen, Meister Nettekoven?«
»Zwanzig Pferdestärken!«, staunte einer der Männer. »Das Zehnfache dessen, was die Gäule leisten. Wir könnten die Bohrer damit antreiben. Und den Draht ziehen.«
Nettekoven kratzte sich am Kopf und fuhr sich über das Kinn.
»Möglichkeiten, sie birgt Möglichkeiten. Aber das will gut überlegt sein.«
»Ein wenig habe ich schon überlegt, Meister Nettekoven«, sagte Alexander grinsend.
»Losse mer bloß denne Meister fott, Masters. Der bees wohl du. Isch bin ewwer nur der Nägeles-Jupp.«
Als das Lachen verebbt war, reichte Alexander ihm die Hand und sagte: »Meister Jupp also.«
Das war vor drei Monaten gewesen, inzwischen lief die Dampfmaschine zufriedenstellend und trieb auch zwei neue Geräte an. Einzig Hannes war unglücklich über die Veränderung. Er hatte gerne die Pferde geführt. Jetzt gab es für ihn keine Aufgabe mehr, und er saß ein paar Tage stumpf vor sich hin brütend in der Küche bei seiner Mutter.
»Wir können ihn nicht an der Maschine arbeiten lassen, Josef. Das ist zu gefährlich«, hatte Alexander eines Abends beim gemeinsamen Essen gesagt. »Aber er kann gut mit Tieren und Pflanzen umgehen, glaube ich. Und ich hätte gerne ein paar Beete hinterm Haus angelegt.«
»Zeig ihm, was er machen muss. Vielleicht kommt ihr miteinander zurecht.«
Alexander hatte Probleme, die gutturalen Laute zu verstehen, mit denen Hannes sich verständigte, aber irgendwie schafften sie es. Als Erstes grub er ein rechteckiges Stück Boden um und setzte Kartoffeln. Danach half der Achtzehnjährige bei einfachen Arbeiten am Haus, die Alexander begonnen hatte. Und nun, Anfang Dezember, waren sie gemeinsam damit beschäftigt, die Wasserleitung zu verlegen. Dazu nutzten sie die hellen Stunden in der Mittagszeit, und da die Tage noch immer frostfrei waren, kamen sie recht gut voran.
Das efeuüberwachsene Fachwerkhäuschen war nicht groß und schon fast hundert Jahre alt. Unten rechts hatte der Schuhmacher seine Werkstatt eingerichtet, ein großer Kamin an der Rückseite diente als Heizung und
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