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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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aufgehalst hatte, aber sie erfüllte ihn mit Befriedigung. Nach zweieinhalb Jahren in der Festung Jülich, in der er nur über eine karge Kammer verfügt hatte, war in ihm die Sehnsucht nach einem eigenen Haus geradezu bis ins Unermessliche gewachsen. Die Stelle bei Meister Nettekoven hatte er unter anderem auch darum angenommen, weil der ihm als Wohnung das alte Schusterhaus seines verstorbenen Onkels angeboten hatte. Seine Freizeit verbrachte er nun damit, es zu modernisieren. Der Einbau einer Wasserleitung vom Brunnen in die Küche war eine der vielen Maßnahmen, die er sich vorgenommen hatte, um sich eine größtmögliche Bequemlichkeit zu verschaffen. Der Sohn des Werkzeugmachers half ihm dabei, wenn es um einfache, aber Kraft erfordernde Arbeiten ging. Hannes war zurückgeblieben, er hatte sich geistig nicht weiter als ein Siebenjähriger entwickelt und litt außerdem an einer Hasenscharte, die ihm das Sprechen sehr erschwerte. Aber er war ein gutmütiger Geselle und schien bei der Ausführung einfacher Arbeiten ganz glücklich zu sein. Als Alexander in den Betrieb eingetreten war, bestand seine Aufgabe darin, die zwei schweren Ackergäule im Pferdegöpel zu führen. Die Tiere wirkten trotz der harten Arbeit wohlgenährt und gepflegt, und das war vor allem sein Verdienst. Er kümmerte sich darum, dass sie nicht überfordert wurden, ausreichend Futter und Wasser bekamen, er hielt ihren Stall in Ordnung und versorgte auch den alten Hund, der ihm überallhin getreulich folgte.
    »Der Baumeister von Hoven schickt Sie? So, so«, war Meister Nettekovens erste Reaktion gewesen, als Alexander im September bei ihm auf der Schwelle stand und um eine Unterredung bat. Das Schreiben von Waldeggs Bruder David, der einer von Nettekovens größten Kunden war, war ihm hierbei dienlich gewesen. Er hatte es durch die Vermittlung von Antonia Waldegg erhalten, die kurz vor seiner Entlassung mit dem Vorschlag kam, er solle sich nach Bayenthal wenden, um dort dem Werkzeugmacher zur Hand zu gehen.
    »Er hat viel Pech gehabt, der gute Nettekoven. Aber David sagt, er arbeitet präzise und pünktlich. Und wenn sein Sohn nicht bei Bingen im Rhein ertrunken wäre, hätte er in seinem Betrieb auch schon eine der modernen Dampfmaschinen eingesetzt.«
    Alexander hatte zwar eine ganze Reihe anderer Pläne, und die Arbeit in einer Schmiede in einem winzigen Kaff vor den Toren Kölns gehörte eigentlich nicht dazu. Aber seine Bewerbungsschreiben an größere Unternehmen waren entweder gar nicht oder abschlägig beantwortet worden. War die Festungshaft auch eine Ehrenstrafe, die den Betroffenen nicht stigmatisieren sollte, so hatten die Unternehmer dennoch gewisse Vorbehalte gegenüber einem Mann, so brillant er auch als Techniker sein mochte, der wegen aufrührerischer Gesinnung verurteilt worden war.
    Nettekoven hatte seine Referenzen durchgesehen und dann gefragt: »Warum wollen Sie ausgerechnet zu mir, Herr Masters?«
    »Weil ich Abstand zwischen der Festung Jülich und mir suche.«
    »Aha.«
    »Stört es Sie?«
    »Nein.« Nettekoven schnaubte und schob die Papiere mit seinen schwieligen Händen zusammen. »Kann ich verstehen. Hier kreuzen keine Regierungsspitzel auf, sonst hätten wir uns dort schon kennengelernt. Aber viel zahlen kann ich Ihnen nicht. Gewiss nicht so viel wie Egells oder Reinecke.«
    »Ich bin mit wenig zufrieden, aber wenn es gut läuft, könnten wir über eine Gewinnbeteiligung reden.«
    »Könnten wir. Vorerst kriegen Sie das Schusterhaus, essen können Sie mit uns, und die Wäsche macht die Magd mit. Was ist mit Ihrer Familie?«
    Das war eine schwierigere Frage als die nach der Festungszeit. Was Reinecke anbelangte, antwortete er ehrlich, was seine Abstammung betraf, blieb er vage. Was hätte es schon genutzt, dem braven Werkzeugmeister zu erklären, dass er der verlorene Sohn eines preußischen Adligen war. Nettekoven bohrte nicht weiter nach und beendete die Unterredung mit der Aufforderung: »Nun sehen Sie sich erst einmal um.«
    Das hatte er getan und eine ordentliche Werkstatt vorgefunden, in der drei Arbeiter Metall verarbeiteten. Ein Hammerwerk, eine Schleifmaschine und ein Walzwerk wurden von einer unter dem Dach liegenden Welle angetrieben, die zu einer offenen Halle führte, in der die Pferde im Geschirr im Kreis gingen. Sie trieben den riesigen, quietschenden Zahnkranz an, der sich über ihnen drehte und somit über verschiedene Übersetzungen die Kraft auf die Maschinen übertrug.
    »Mein Sohn, Gott hab ihn

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