Göttertrank
ungewöhnlich war. Tatsächlich hatte sein Vater sogar eine vorsichtige Geschäftsbeziehung zu den Valmonts in Erwägung gezogen, ein Vorhaben, das jedoch jetzt, nach Gilberts Tod, wieder eingeschlafen war.
Jan Martins Entscheidung für die akademische Laufbahn wurde von seiner Familie akzeptiert, obwohl der alte Jantzen gehofft hatte, dass der Aufenthalt in Venezuela seinen Sinn gewandelt hätte. Aber er war ein toleranter Mann und achtete den Willen seines Sohnes. Also unterstützte er ihn nach Kräften.
Die letzten Pflänzchen waren umgesetzt, und Jan Martin goss sorgfältig seine anderen Schützlinge. Sie gediehen prächtig, und rote, rosa und weiße Blüten leuchteten in der Sonne, die den Erker fast den ganzen Tag über wärmte. Zufrieden wusch er sich die erdigen Hände und trug den Eimer mit dem Schmutzwasser zum Anrichtezimmer, wo ihn der Hausdiener später abholen würde. Zu dem Mietarrangement gehörten die Möbel, die Reinigung und Wäsche und die Teilnahme an den gemeinsamen Mahlzeiten, die die Pensionswirtin stellte. Sie war eine ordentliche Frau, der gute Verpflegung und Sauberkeit am Herzen lagen und die ihren Mietern kaum Vorschriften machte – sofern diese ebenfalls sauber, ruhig und von gesittetem Benehmen waren. Die Anpflanzungen hatte Jan Martin ihr allerdings mit vielen Worten und Versicherungen aufschwatzen müssen.
»Ich verspreche Ihnen hoch und heilig, ich werde weder schwarze Vogelspinnen noch exotische Giftnattern darin züchten«, hatte er schließlich verzweifelt gestöhnt. »Nur harmlose bunte Blumen.«
Sie hatte endlich eingewilligt, und als er jetzt sein Werk bewunderte, klopfte sie an, um einen Besucher anzukündigen.
»Ja, ich freue mich, Doktor Bevering zu sehen. Aber jetzt schauen Sie sich erst einmal die prächtigen Blüten an«, forderte er sie auf.
»Na ja, ich muss zugeben, es ist hübsch. Doch, sogar sehr hübsch, Herr Doktor. Aber passen Sie auf Läuse auf. Ich will kein Ungeziefer in meinem Haus.«
»Wir werden es ausräuchern, sollte es auftreten«, sagte eine tiefe Stimme von der Tür her.
»Naturwissenschaftler!«, brummte sie. »Und hinterher riecht alles nach Pech und Schwefel und Schlimmerem! Hätte ich mir doch bloß ein paar brave Theologen als Mieter genommen.«
»Die frönen ihren Lastern nur heimlich, gute Frau. Bei uns wissen Sie wenigstens, woran Sie sind.«
»Auch wahr. Wollen Sie eine Kanne Kaffee zu Ihrem Disput trinken?«
Jan Martin bejahte, und die Vermieterin zog sich zurück.
»Sie ist hinter ihrer brummigen Art eine gute Seele. Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr Doktor Bevering. Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs?«
Der Kölner Apotheker war ein Bekannter des eben verstorbenen Pharmazeuten und Direktors des Botanischen Gartens, Theodor Friedrich Nees. Aus diesem Grund waren sie sich hin und wieder im pharmazeutischen Labor im Schloss Poppelsdorf begegnet. Bevering war auf einige Untersuchungen Jan Martins aufmerksam geworden und hatte ihn gelegentlich in ein Gespräch verwickelt.
»Eine gewisse Ratlosigkeit führt mich zu Ihnen, junger Kollege. Ich erhoffe mir Anregung, denn Sie sind mir durch einige unkonventionelle Ansichten aufgefallen.«
»Ich hoffe doch nicht unangenehm?«
»Nein, im Gegenteil. Das eine oder andere fand ich erfrischend. Ich will es kurz machen. Mein Bruder ist an der Zuckerharnruhr erkrankt. Ich würde gerne etwas mehr tun, als das, was sein – und auch mein – Arzt dazu vorschlägt. Doktor Schlaginhaufn ist ein Jugendfreund und Studienkamerad von mir, ein reputierter Arzt und durchaus erfolgreich. Aber... nun, er steht den neueren Entwicklungen auf dem medizinischen Gebiet nicht eben freundlich gegenüber. Doch ich denke, eine zweite Meinung kann nicht schaden.«
»Ich habe nicht viel Erfahrung mit dieser Krankheit, Herr Doktor Bevering. Symptomatisch ist sicher großer Durst, damit verbunden übermäßiges Harnlassen.«
»Richtig. Dazu haben sich bei ihm bereits brandige Hautwunden eingestellt.«
Jan Martin hatte in seinem Studium die auf der Vier-Säfte-Lehre aufbauende Medizin gelernt, durch seine praktische Erfahrung aber Zweifel an der unabänderlichen Richtigkeit dieser Lehre bekommen. Er fand diese Bedenken von anderen Naturforschern und Ärzten bestätigt. Doch eine belastbare neue Theorie gab es noch nicht, das Feld für Experimente war weit und nur an vereinzelten Stellen bisher gründlich beackert. Darum zog er sich bei seiner Antwort zunächst auf die klassische Vorgehensweise
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