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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sonderlich ermutigend ausgefallen. Erik hatte Reineckens aufgesucht und vorsichtig vorgefühlt, doch die Reaktion war ablehnend. Der Unternehmer erklärte rundheraus, er wolle mit Alexander nichts mehr zu tun haben, Paula habe mit leidender Miene dabeigesessen und leise darüber geklagt, welches schwere Leid ihr Gatte ihr angetan habe. Einzig Julia, die sich in der Obhut der Gouvernante zu einem verständigen Mädchen entwickelt habe, hatte sich heimlich nach ihm erkundigt. Sie war inzwischen acht Jahre alt und besuchte die zweite Klasse der Schule, und Alexander hatte ihr über Erik einen Brief zugesandt. Zu seiner großen Freude war schon nach wenigen Tagen Antwort gekommen. Orthographisch noch verbesserungsfähig, aber leidenschaftlich in der Formulierung teilte Julia ihm mit, wie sich ihr Leben derzeit gestaltete, sprach von Schreib- und Rechenunterricht, von Heimatkunde und Handarbeiten, von Schulfreundinnen und langweiligen Teenachmittagen. Sie schwärmte von dem strengen, aber sehr gebildeten Fräulein Berit, die manchmal ganz furchtbar lustige Bemerkungen machen konnte. Die sauertöpfische Kinderfrau schien keinen großen Einfluss auf sie zu haben, die träfe sich lieber mit ihrer Freundin, der Witwe Kantholz, die aussah, als sei sie in Bittersalz eingelegt worden.
    Ihr Sohn, der Regierungsassessor Karl August Kantholz, hingegen schien seine Zelte in Elberfeld abbrechen zu wollen, teilte Erik mit. Er sei befördert und dem Kurator der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Bonn als Assistent zugeteilt worden. Man atme allenthalben auf, schrieb er, nur der Zahnarzt bedauere seinen Fortgang. Denn Karl August war ein häufiger Gast in seinem Behandlungszimmer. »Und da der Zahnbrecher, wie du weißt, ein guter Turnerkamerad ist, behandelt er unseren Freund besonders zuvorkommend. Betrachte es als eine kleine Form der Rache, Alexander.«
    Alexander hatte auch an Nadina geschrieben, doch die Antwort von ihr ließ auf sich warten. Mit dem Baumeister von Hoven stand er ebenfalls in Kontakt, und über ihn erhielt er auch eine Einladung zu einem Treffen der Kölner Ingenieure und Techniker. Waldegg hatte seinem Partner Lindlar das Manuskript des technischen Ratgebers überlassen, das Alexander noch während seiner Festungszeit fertiggestellt hatte, und diese Veröffentlichung hatte ihm in fachkundigen Kreisen einen gewissen Ruf verschafft.
    Es hatte ihm ebenfalls die Bekanntschaft mit Laura von Viersen eingebracht. Im Sommer hatte er in der Artilleriewerkstatt von Deutz einen Vortrag über Dampfmaschinen gehalten, dem auch die Gattin des Kommandeurs beiwohnte. Zunächst erstaunte es ihn, eine Dame unter den Offizieren zu entdecken, die sich offensichtlich für technische Fragen interessierte. Doch als sie ihm bei dem anschließenden geselligen Beisammensein vorgestellt wurde, gewann er in dem kurzen Gespräch mit ihr den Eindruck, eine sehr kluge und nachdenkliche Frau kennengelernt zu haben. Eine schöne, gepflegte Frau, vielleicht fünf oder sechs Jahre älter als er, mit vielseitigen Interessen. Und traurigen Augen.
    Diese Augen hatte er nicht vergessen können und die großzügige offene Einladung angenommen, als er das nächste Mal nach Deutz gekommen war. An jenem Nachmittag hatte er Frau von Viersen alleine angetroffen, und in der halben Stunde, die er in ihrem Salon verbrachte, war ein hauchzartes Gespinst entstanden, das zu gewissen Hoffnungen Anlass gab. Er war sich vollkommen im Klaren darüber, was diese Beziehung bedeutete. Sie waren beide verheiratet und gleichermaßen unglücklich mit ihren Ehepartnern. Oberst von Viersen war ein kühler, desinteressierter Gatte, der seine Zeit weit lieber mit den Kameraden verbrachte als mit seiner Frau. Kinder hatten sie nicht, und so führte Laura ein einsames Leben, das sie mit Lektüre und dem Besuch allerlei kultureller Veranstaltungen ausfüllte.
    Man würde sich begegnen. Alexander wollte dafür sorgen. Er sehnte sich nach weiblicher Gesellschaft, nicht nur nach Zärtlichkeit und Intimität, sondern auch nach Unterhaltung und Gedankenaustausch.
    Insgesamt kam sein Leben allmählich wieder ins Lot, aber trotzdem schob er das Verfassen eines wichtigen Briefes immer wieder weit von sich weg. Noch war er nicht bereit, den Grafen von Massow darüber in Kenntnis zu setzen, dass sein Sohn und Erbe am Leben war. Erst wollte er sich aus eigener Kraft das schaffen, was er vor beinahe zweiundzwanzig Jahren verloren und was er in der ganzen Zeit nie besessen hatte – ein

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