Göttertrank
Herdstelle, linkerhand befand sich das, was man wohl als »gute Stube« bezeichnen konnte. Eine schmale hölzerne Stiege führte zu zwei Räumen und einer kleinen Kammer unter dem Schieferdach. Das eine Zimmer war mit einem massiven Pfostenbett eingerichtet, dessen staubige Vorhänge Gisa Nettekoven naserümpfend in die Wäsche geworfen hatte. Josefs Frau war eine wortkarge, müde Vierzigjährige, die den Tod ihres Sohnes noch nicht verwunden hatte. Aber sie half Alexander, sich einzurichten, und steuerte sogar etwas Bettwäsche bei.
Als Erstes hatte Alexander den Lehmboden in Werkstatt und Diele mit Holzbohlen ausgelegt und um die Feuerstelle Schieferplatten verlegt. Er plante, eine weitere Wand einzuziehen, was ihm ermöglichte, unten sein Arbeitszimmer und eine Küche einzurichten. Noch gab es keinen Herd, sondern nur eine kniehoch gemauerte Kochstelle. Aber auch das wollte er ändern. Der Baumeister von Hoven, der einige Tage zuvor vorbeigekommen war, um mit Nettekoven einen neuen Auftrag durchzusprechen, hatte ihm versprochen, im Januar zwei seiner Leute vorbeizuschicken, die ihn bei den Umbauarbeiten unterstützen sollten. Alexanders ehrgeizigstes Projekt aber war das Einführen einer Wasserleitung. In England, im Haus von Dettering, hatte er den Vorteil von fließendem Wasser und vor allem das ungemein praktische water closet kennengelernt, einen Luxus, den er seither vermisst hatte. Da er über ausreichende technische Kenntnisse verfügte, hatte er schon einen Wassertank unter dem Dach installiert und die Hofpumpe mit Rohrleitungen verbunden, damit er nur einmal am Tag das notwendige Wasser hochpumpen musste. Das water closet fand seinen Platz in dem Kämmerchen im Obergeschoss, durch eine weitere Leitung konnte er die Wanne, die er in seinem Schlafzimmer hinter einer spanischen Wand einbrachte, befüllen. Ins Grübeln hatte ihn die Entsorgung des Wassers gebracht, bis er auf die Idee kam, eine Sickergrube hinter dem Haus auszuheben und auch dorthin Rohre zu verlegen. Hannes, kräftig und willig, hatte geschaufelt und geschippt, dann hatten sie den Holzkasten eingebracht und wieder abgedeckt. Einer der Bauern erklärte sich bereit, ihn regelmäßig zu entleeren, so wie es auch bei den anderen Dorfbewohnern üblich war, und den Inhalt auf dem Feld zu verteilen. Das Landleben, fand Alexander, barg immer neue Überraschungen.
Als sich dicke Wolken vor die niedrig stehende Sonne schoben, zog er die letzte Rohrschelle fest und betrachtete zufrieden sein Werk. Hannes neben ihm gab einen fragenden Laut von sich, und er antwortete: »Ja, Junge, damit sind wir fertig. Du hast mir sehr geholfen. Was hältst du von einer Belohnung?«
Das Gesicht des Jungen verzog sich zu einem breiten Grinsen. Mit Geld konnte er nicht viel anfangen, aber Alexander hatte herausgefunden, dass er Süßigkeiten über alles liebte. Er war am Vortag in Köln gewesen, um Materialbestellungen zu tätigen, dabei hatte er auch einen kleinen Vorrat an Naschwaren eingekauft. Sie wuschen sich an der Pumpe die Hände, und Hannes folgte Alexander auf dessen Aufforderung in die Stube. Vier kandierte, mit Schokolade überzogene Früchte reichte er ihm, und Freude leuchtete aus den Augen des Jungen. Aber er ließ die Handflächen offen und hielt sie Alexander hin. »Hu auch!«
»Nein, nein, sie sind nur für dich.«
Begeistert steckte Hannes sich eine davon in den Mund, und seine Miene verhieß reinstes Entzücken. Dann aber drehte er sich zu dem alten Hund um, der wie üblich an seiner Seite hockte, und bot dem Tier ebenfalls eine Schokoladenfrucht an.
Hasso schnüffelte daran und schüttelte den Kopf. Alexander musste lachen. Es wirkte so menschlich.
»Ich glaube, ein Wurstzipfel wäre ihm lieber. Komm mit, wir schauen, was die Speisekammer bietet.«
Glücklich zogen Herr und Hund kurz darauf von dannen, und Alexander blickte ihnen nach. Dann räumte er die Werkzeuge fort und kehrte in die Fabrik zurück.
Seine Tage waren ausgefüllt mit der Arbeit in der Werkzeugschmiede, wo er sich hauptsächlich um die Verbesserung der Fertigung und den Betrieb der Dampfmaschine kümmerte, und seinen Renovierungstätigkeiten. Aber er fand auch Zeit, seine Korrespondenz wieder aufzunehmen. Zum einen hielt er ständigen Kontakt zu Erik Benson in Elberfeld. Er hatte, als sich seine Zeit in der Festung dem Ende näherte, bei dem Juristen angefragt, wie sich die Stimmung bei seinem Schwiegervater und seiner Frau entwickelt hatte. Die Antwort war nicht
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