Göttertrank

paar Liegestütze machen, deine Ärmchen sind ja so dünn wie Spargelstangen!« Er zwickte einen der Lausbuben in den erbsengroßen Bizeps. Die Rasselbande grinste und stob davon.
    »Kommen Sie mit in den Garten. Mögen Sie ein Bier?«
    »Da ich einen strammen Fußmarsch über staubige Straßen hinter mir habe, sage ich nicht nein.«
    »Die alte Lena braut das Zeug selbst und gibt mir immer mal einen Krug ab.«
    Alexander führte seinen Besucher durch die Diele in die Küche, nahm den Krug und zwei Steingutbecher und öffnete die Hintertür. Hier standen im Schutz der sonnenwarmen Wand eine hölzerne Bank und ein grober Tisch.
    »Was sucht ein Botaniker bei einem Ingenieur, Herr Jantzen?«, fragte er neugierig, als sie die ersten langen Schlucke genommen hatten.
    »Haben Sie schon mal was von einem Hothouse gehört?«
    »Ich habe das Palm House in Hackney gesehen und einen Aufsatz über Loudons Curvilinear Houses in der ›Allgemeinen Bauzeitung‹ gelesen. Eine Herausforderung an die Metallverarbeitung. Tropenpflanzen sind Ihr Gebiet?«
    Jantzen lachte. »Allerdings. Na, dann brauche ich ja nicht mehr viel zu erklären. Ja, ich befasse mich mit einem speziellen tropischen Baum, der seine ganz eigene Vorstellung von den ihm angenehmen klimatischen Bedingungen hat. Der Kakaobaum ist mein Fatum.«
    »Stellt sich mir jedoch noch immer die Frage, wie weit Ihr Schicksal die Unterstützung eines Maschinenbauers benötigt. Geht es um die Beheizung des Hothouses?«
    »Erst in zweiter Linie. Zuerst einmal muss ich diesen verdammten Baum herbekommen. Diese Primadonna ist nämlich nicht seetüchtig. Alle Versuche, einen jungen Baum oder Sprössling über den Atlantik zu transportieren, sind bislang gescheitert. Die rauen Winde, die Salzluft, die unanständigen Lieder der Matrosen – weiß der Kuckuck, was sie eingehen lässt.«
    »Also wollen Sie ein transportables Gewächshaus gebaut haben.«
    »So in etwa stellte ich es mir vor. Wir haben schon mit verglasten Holzkisten gearbeitet, aber die sind zu sperrig und vermutlich auch zu undicht. Eine metallene Glaskonstruktion wäre mein nächster Versuch.«
    Sie diskutierten eine Weile über Abmessungen, Statik und Materialien sowie Möglichkeiten der Beheizung, während die Schatten länger und der Bierkrug leerer wurden. Schließlich meinte Alexander: »Eine Lösung wird sich finden, Jantzen, aber sicher nicht, bevor ich etwas mehr als Bier im Magen habe. Teilen Sie ein einfaches Mahl mit mir?«
    »Sie sind sehr großzügig, Masters. Ja, einen Happen könnte ich auch vertragen.«
    »Ich führe keine große Küche, aber frisches Brot, Butter, Tomaten und ein Stück Käse kann ich anbieten. Sie sind der Botaniker, ernten Sie die Tomaten!«
    Als auf dem Tisch die gefüllten Teller standen, legte Jan Martin sechs reife Tomaten und ein paar Halme Schnittlauch dazu.
    »Es ist Ihnen vermutlich gar nicht bekannt, dass auch Sie recht exotische Gewächse anbauen.«
    »Kartoffeln und Tomaten?«
    » Patata und tomatl , wir haben sie, wie den Kakao, von den südamerikanischen Indianern übernommen. Fehlt Ihnen noch eine kleine Tabaksanpflanzung.«
    »Keine schlechte Idee. Ich werde Hannes damit beauftragen.«
    »Und etwas Hanf wäre auch nicht schlecht.«
    »Hanf? Soll ich mir den Strick draus drehen?«
    »Wenn’s so weit ist, können Sie auch das. Vorher lockert die Pflanze aber den Boden.« Dann grinste Jan Martin. »In der Pfeife macht er sich auch gut, der Hanf.«
    »Aha.«
    »Aber nicht zu oft, sonst fangen Sie an zu fliegen.«
    »Scheint ein interessanter Stoff zu sein. Wo bekommt man den Hanf her?«
    »Drüben in Hennef bebauen sie ganze Hänge damit.«
    »Aber nicht, um ihn zu rauchen, vermute ich.«
    »Fasern, Stoffe, Papier. Die Hanfsamen sind ölhaltig und recht schmackhaft. Ich persönlich bin mehr an den medizinischen Anwendungen interessiert. Hufeland empfahl ihn schon gegen Husten, und der jüngst verstorbene Leiter unseres botanischen Gartens, Nees von Esenbeck, hat seine Nützlichkeit bei allerlei Krämpfen erkannt.«
    Alexander fragte sich, warum sein Besucher plötzlich ein ausgesprochen ernstes Gesicht machte.
    »Die Pharmazie scheint auch eines Ihrer Forschungsgebiete zu sein, Jantzen?«
    »Ich bin auch Arzt. Ja, die Inhaltsstoffe der Pflanzen müssen noch viel mehr erforscht werden. Hätte ich von der Wirkung des Hanfs früher gewusst, hätte ich Leben retten können.«
    Er biss in sein Butterbrot, das mit Tomatenscheiben und Schnittlauch belegt war, und schwieg.