Göttertrank
Elberfeld und Jülich. Es blieb nicht aus, dass Berlin, das sie beide kannten, zu Vergleichen Anlass gab. Und es blieb daher auch nicht aus, dass Nadinas Café dabei erwähnt wurde.
»Nadina Galinowa. Sie hatte zuvor eine Gartenwirtschaft in Potsdam. Die ist abgebrannt, und danach hat sie das Café in der Stadt eröffnet. Das habe ich leider nicht mehr mit eigenen Augen gesehen. Aber sie hat mir davon geschrieben.«
»Ein gut gehendes, gepflegtes Etablissement. Zwei sehr hübsche junge Frauen, die die Gäste bedienten. Melisande, Madame Nadinas Tochter, und Amara, ihre Partnerin. Sie war eine exzellente Bäckerin. Es ist so schrecklich, was passiert ist.«
»Amara? Ich habe Amara auch gekannt! Was ist mit ihr geschehen?«
»Sie steht unter Verdacht, meinen Freund Gilbert ermordet zu haben.«
»Großer Gott!«
»Sie hat es aber nicht getan. Ich war ja dabei.«
Während die Nachtigallen in den Büschen ihre Melodien miteinander verwoben, erfuhr Alexander Masters die furchtbare Geschichte, und die ganze Zeit über sah er das Gesicht des jungen, unglücklichen Mädchens vor sich, das er aus der Zuckerfabrik zu Nadina gebracht hatte. Möglicherweise lag es an dem schweren Wein, dass er darüber eine plötzliche Traurigkeit empfand, denn in den vergangenen Monaten hatte er Amara beinahe völlig vergessen.
Er schwieg lange, und dann, als der Mond hinter den Baumwipfeln versank, half er Jan Martin, der genau wie er nicht mehr ganz sicher auf den Beinen stand, ins Haus und die Stiege zu den Schlafzimmern empor.
»Schlaf gut, Doktor«, murmelte er mit etwas schwerer Zunge.
»Du auch, Inschen... Inschensch... blöder Titel! Alexander.«
»Ja, blöd, Jan. Aber meiner. Kein geerbter Graf oder so.«
Mit dieser nebulösen Bemerkung stolperte Alexander in sein Zimmer.
Noch bevor er einschlief, überkam ihn aber die ernüchternde Erkenntnis, dass er am nächsten Morgen einen Höllenkater haben würde, und gleich darauf die übermütig-trunkene, dass es gut war, einen Freund gefunden zu haben, der als Arzt sicher etwas dagegen unternehmen konnte.
Er täuschte sich leider in letzterer Annahme. Auch Doktor Jan Martin kannte kein Mittel gegen den Brummschädel.
Gutbürgerliche Küche
Er speist vergnügt sein Leibgericht,
Und in den Nächten wälzt er nicht
Schlaflos sein Haupt, er ruhet warm
In seiner treuen Gattin Arm.
Heinrich Heine
»Ach, der liiiebe Herr Pfarrer kommt zu Besuch!«, kreischte Hermine, und ich verdrehte stumm die Augen. Anton Beverings Tochter, gerade mal ein Jahr jünger als ich selbst, war mit einer durchdringenden Stimme geschlagen, die sie nur selten in gedämpfter Lautstärke einsetzte. In Momenten gefühlsmäßiger Erregung schrillte sie unangenehm durch das Haus – und gefühlsmäßige Erregung gehörte zur Grundhaltung der jungen Frau. Der Besuch des stiernackigen Geistlichen versetzte sie in höchste Verzückung, was mich einigermaßen belustigte. Der würdige Herr war ganz offensichtlich eine Zielscheibe mädchenhafter, wenn auch hoffnungsloser Träume.
Hermine war keine göttliche Schönheit, doch sie wäre bei Weitem ansehnlicher gewesen, wenn sie sich nicht strikt in tiefste Trauerkleidung gehüllt und ihre braunen Haare nicht gar so straff im Nacken zusammengeknotet hätte. Nur zwei Korkenzieherlocken an den Schläfen, die mit Brennschere und Pomade zu drahtähnlichen Spiralfedern geformt waren, gönnte sie sich als modisches Attribut.
Auf ihren Aufschrei am Fenster reagierte ihre Tante Margarethe mit einem milden »Gott sei’s gelobt« und legte die komplizierte Klöppelarbeit nieder, um den schwarzen Kreppschleier ihrer Haube wieder über das Gesicht zu schlagen. Die Witwe des verstorbenen Bruders von Anton Bevering war nach dem Tod ihres Mannes in das Apothekerhaus gezogen, um hier im Schoße der Familie tiefster Trauer zu frönen. Sie tat es mit bewundernswerter Inbrunst, was mich ebenfalls belustigte, denn von meinem Gatten hatte ich erfahren, dass die kinderlosen Eheleute kein sonderlich inniges Verhältnis zueinander gepflegt hatten. Doch nun verband Nichte und Tante die gemeinsame Darstellung seelischen Kummers, der von dem Herrn Pfarrer aufopferungsvoll gelindert werden musste.
»Ich wünschte, Ella Annamaria, Sie würden wenigstens in Halbtrauer auftreten«, seufzte Margarethe vernehmlich. »Was wird nur der Herr Pfarrer von Ihnen denken?«
»Dass ich eine jung verheiratete Dame bin, Gretchen«, antwortete ich milde und strich meinen leuchtend blauen Rock
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