Göttertrank
Wächst, was wir säen, uns wieder zu;
Da pflanzt die Wahrheit ihre Ruh’,
Da fühlt die Torheit ihre Schmerzen,
Da sät das Laster seine Pein.
Christoph August Tiedge
Baroness Dorothea, jetzt Frau Fink von Finckenstein, schrie nicht mehr. Sie weinte auch nicht mehr. Ihre Kehle war rau vom Schreien, und ihre Augen hielt sie zusammengepresst. Es gab nichts und niemanden, der sie aus dem Elend hätte befreien können. Es gab keine Hilfe. Ihr Gatte hatte ihre Hände zusammengebunden und sie an das Kopfende gefesselt. Ihre Röcke waren hochgeschlagen, ihre Beine gespreizt. Mit unbarmherziger Brutalität stieß er wieder und wieder zu. Angefeuert wurde er dabei von seinem Kammerdiener und dem Verwalter, die das Ganze als vergnügliche Abrundung ihres abendlichen Saufgelages ansahen.
Endlich hatte ihr Gemahl sein Ziel erreicht, und mit trunkener Stimme forderte er seinen Kammerherrn auf, sich zu bedienen.
»Ich hab’s aber lieber von hinten«, nuschelte der und nestelte sich die Hose auf.
»Dann drehen wir die fette Sau doch einfach mal um!«
Die nächste Welle Schmerz und Demütigung hatte Dotty zu ertragen, und auch die dritte erwartete sie, wie sie aus Erfahrung wusste.
Ein Jahr war sie verheiratet, und jeden einzelnen Tag davon lebte sie in der Hölle oder in der Erwartung höllischer Peinigungen.
Nachdem sie mit Gilbert buchstäblich ihre Hoffnungen auf eine Ehe fern von ihrer Familie begraben hatte, blieb ihr nichts anderes übrig, als den Antrag von Richard Fink von Finckenstein anzunehmen. Zunächst ließ sich das sogar ganz gut an. Der junge Mann hatte gerade sein Erbe angetreten, der alte Finckenstein war vor einem Jahr verstorben und hatte seinem Sohn ein weitläufiges Landgut hinterlassen, das, wenn auch tief im Pommerschen gelegen, doch so viel Gewinn abwarf, dass sich Richard zu jeder Saison nach Berlin begeben und dort ein Leben der mondänsten Art führte konnte. Seine Vorliebe lag in modischer Kleidung, und gerne zeigte er sich in zartgelben Hosen, dunkelblauen oder veilchenblauen Jacken und äußerst phantasievoll gemusterten Westen. Er sah auf eine derbe Art recht gut aus, seine störrischen dunklen Locken ordnete ein Coiffeur zu einer gekonnt zerzausten Frisur, und wenn er zu Pferde saß, folgten ihm verstohlen die Blicke der Damen.
Dotty hingegen ignorierte ihn eine ganze Zeit lang, ihr stand der Sinn nach Höherem als einem pommerschen Landjunker. Sie wurde erst auf ihn aufmerksam, als absehbar war, dass keiner ihrer Wunschkandidaten bei ihr anbeißen würde.
Die Saison näherte sich dem Ende, und damit machte sich ernsthafte Torschlusspanik bei ihr breit. Sie würde sitzen bleiben, denn noch einmal würde ihr Onkel bestimmt nicht mehr einspringen, und ihre Mutter hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht das Geld hatten, um einen weiteren derart kostspieligen Aufenthalt in der Hauptstadt zu finanzieren.
Fink von Finckenstein war ihre letzte Rettung. Mochte sein Besitz auch in der finstersten Provinz liegen, so hatte er doch zumindest das Bedürfnis, jedes Jahr einige Monate in der Stadt zu verbringen. Zwar besaß er keine eigene Stadtresidenz, sondern mietete ein Haus nach Belieben, aber das konnte eine Gattin sicher ändern.
Sie setzte ihren gesamten Charme ein, flirtete und tändelte, lockte und gewährte heimlich und erfahren und nahm nach mädchenhaftem Zögern seinen Antrag an. Ihr Vater gab wohlwollend seine Zustimmung und ihre Mutter endlich Ruhe.
Die Hochzeit feierten sie im Frühjahr 1837, und mit der Hochzeitsnacht begann ihr Martyrium. Ihr Gemahl behandelte sie alles andere als zuvorkommend, sondern nahm sich roh, was er für sein Recht hielt. Ihr Jammern fegte er mit dem Hinweis zur Seite: »Hab dich nicht so. Du bist kein unschuldiges Bräutchen mehr, Dorothea. Wie man allenthalben hört, hast du einen ausgeprägten Hang zum Personal. Das kommt mir entgegen.«
Was diese kryptische Äußerung bedeutete, erfuhr sie, als sie auf dem Gut eintrafen.
Es war ein prächtiger Landsitz, die Fassade im Renaissance-Stil gehalten, für den einer der Finckenstein’schen Vorfahren eine Vorliebe hatte. Man hatte das Herrenhaus aus rotem Backstein errichtet, und die Rundbogen der Fenster und Türen verteilten sich harmonisch zwischen weißen Halbsäulen und Gesimsen. Eine breite Eichenallee führte zu dem bekiesten Vorplatz, und ein weitläufiger Park umgab das Anwesen. Auch die Innenräume strahlten gediegene Pracht aus, wenn auch eine gewisse
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