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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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haben, der diese Problematik sozusagen aus erster Hand kennt.«
    Erst herrschte verdutztes Schweigen, aber dann brummte der Graf: »Keine schlechte Idee, Linda. An dieser Stelle gibt es wahrhaftig noch viele Probleme, und neue Sichtweisen könnten frischen Wind in die Sache bringen.«
    »Nun, wir haben ja zumindest in diesem Jahr das Gesetz auf den Weg gebracht, dass Kinder nur noch neun Stunden am Tag arbeiten dürfen.«
    »Habt ihr das, Julius? Und ihr seid stolz darauf?«
    »Ziemlich, Alex. Denn wenn du wüsstest, mit welchen Widerständen wir zu kämpfen hatten.«
    »Sagenhafte Widerstände!« Der Graf setzte ungehalten sein Weinglas ab. »Uneinsichtige Granitköpfe blockieren uns an allen Ecken und Enden. Ich musste tatsächlich das Argument bemühen, die armen, ausgemergelten Jungen in den Fabriken seien nicht mehr in der Lage, das Vaterland militärisch zu verteidigen.«
    Alexanders Aufmerksamkeit war geweckt. Sein Vater berichtete endlich einmal, auf welche Weise er seine Überzeugungen vertrat, und schon bald war eine lebhafte Diskussion über den Nutzen von Maschinen, abendlichem Zwangsunterricht, gesünderer Ernährung, Verhütung von Unfällen, verbesserten Fertigungsverfahren, Hygienemaßnahmen und Krankenversicherungen im Schwange. Auch über die zunehmende Unruhe unter den Arbeitern, über rebellische Anführer, kommunistische Ideen und die Unterdrückung von Meinungsäußerungen redeten sie. Häufig waren sie einer Meinung, anderes diskutierten sie kontrovers, und manchmal schlichen sich sogar leidenschaftliche Argumente und hitzige Wortwechsel ein.
    Von diesem Abend an wurde es dann wirklich einfacher, und schließlich, als das Weihnachtsfest vor der Tür stand, war der Graf so weit, dass er seinen Sohn zu einem vertraulichen Gespräch über dessen Zukunft in die Bibliothek bat.
    »Du hast es geschafft, ohne meinen hilfreich erziehenden Beistand aus deinem Leben etwas ganz Anständiges zu machen, mein Sohn. Du sollst wissen, dass ich dir hohen Respekt zolle.«
    Alexander verspürte aufrichtige Freude über das Lob.
    »Danke, Vater. Aber schon die ersten neun Jahre haben Sie mir etwas mitgegeben, das mir später geholfen hat, in den wirren Zeiten zu überleben. Selbst als ich mich nicht an meinen Namen und meine Familie erinnern konnte, gab mir manches davon einen kleinen Halt.«
    »Wenn es so war, dann will ich es zufrieden sein. Aber nun, Alexander, sage mir, wie du dir dein weiteres Leben vorstellst. Wir haben einander wiedergefunden, und selbst wenn du es nur als kurzen Besuch betrachtest, wird es Folgen haben, nicht wahr?«
    »Natürlich. Ich habe selbstverständlich darüber nachgedacht, Vater. Und ich bitte Sie inständigst um Verständnis – ich möchte bei meiner ersten Aussage bleiben. Ich bin Alexander Masters geworden. Der Adelstitel, so sehr ich berechtigt wäre, ihn zu tragen, bedeutet mir nichts. Setzen Sie bitte Julius als Ihren Titelerben ein. Er hat es verdient und ist es auch gewohnt.«
    »Ich verstehe dich vollkommen, mein Sohn. Doch Julius ist entschlossen, dieses Ansinnen abzulehnen. Und ich versichere dir, er ist genauso stur wie du.«
    »Ich werde mich mit ihm hinter den Ställen verabreden müssen«, grinste Alexander.
    »Nichts dergleichen werdet ihr tun«, raunzte der General. »Ich habe meine Söhne nicht zu Raufbolden erzogen.« Und dann grinste er ebenfalls. »Möchte lieber nicht wissen, wer von euch beiden sich dabei die blutigere Nase holt.«
    »Julius. Schließlich sind meine Hände härter als die eines glattzüngigen Diplomaten, der die seinen allenfalls dazu nutzt, zarte Damenfingerchen an seine Lippen zu ziehen.«
    »Steht zu befürchten. Trotzdem, versuchen wir das Problem auf gütliche Weise zu lösen. Ich denke, es spricht nichts dagegen, wenn du weiterhin deiner Arbeit unter dem bisher geführten Namen nachgehst. Immerhin hast du ein Fachbuch veröffentlicht und bist in den Kreisen der führenden Techniker nicht unbekannt.«
    »Nicht?«
    »Hab natürlich Erkundigungen eingezogen«, brummelte der Graf. »Diskret, versteht sich. Aber bedenke, der Adelstitel kann dir Türen öffnen, die einem Bürgerlichen auch heute noch verschlossen sind. Du bist nicht der Mensch, der Konflikte um jeden Preis vermeidet, um das zu erreichen, was du dir in den Sinn gesetzt hast. Manchmal kann es notwendig und nützlich sein, sich gewisser Verbindungen zu bedienen. Führe den Titel nicht in deiner Korrespondenz, aber behalte ihn. Ich für meinen Teil habe dich im Testament als

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