Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
Vom Netzwerk:
Abbruch.
    Melisande brachte eine ganz neue Lebhaftigkeit in unseren gutbürgerlichen Haushalt. Ihre Idee war es auch, die Kekse zu backen. Denn um des lieben Friedens willen hatte ich mich von Hermine für ihre Wohltätigkeitsarbeit einspannen lassen, die darin bestand, bedürftige Kinder mit Speise und Kleidung zu versehen. Zweimal in der Woche stand meine Stieftochter mit gestärkter Schürze und säuerlicher Miene hinter einer Theke im Waisenhaus und schenkte den mageren, trübäugigen Jungen und Mädchen, die von morgens bis abends in den Spinnereien arbeiteten, die dünne Suppe aus. Sie tat es nicht aus Mitleid, sondern weil sie es als ihre Pflicht ansah, oder auch, weil sie sich Lob und Anerkennung durch den Pfarrer erhoffte. Ich hatte sie beobachtet – Kindern mit etwas wacherem Blick und frechem Mundwerk füllte sie nur das Wässrige in die Schale, jene, die mit frommem Augenaufschlag bittend vor ihr standen, bekamen das Gehaltvollere aus den Tiefen des Kessels. Nicht alle Kinder durchschauten sie oder hatten Lust, Gottesfürchtigkeit zu heucheln. Ich hingegen bemühte mich, allen gleichermaßen Kartoffeln, Graupen und ihren Anteil an Fleischstückchen in die Teller zu schöpfen. Dabei lächelte ich genauso, wie ich es getan hatte, als ich Frau Regierungsrätin und ihren Freundinnen Sahnebaisers servierte. Wenigstens ein freundliches Gesicht konnte ich den Kindern schenken, denn natürlich dauerten mich die müden, ausgelaugten Gestalten. Nur für ein paar Wochen hatte ich in der Zuckerfabrik gearbeitet, aber die Anstrengung hatte ich nicht vergessen. Der mitfühlenden Melli hingegen brach es fast das Herz, als sie uns das erste Mal begleitete.
    »Sie wissen gar nicht, was Glück ist, diese armen Würmer. Man muss doch etwas mehr für sie tun können.«
    »Es kostet Geld, sie zu verpflegen. Und wer gibt schon gerne seine schwer verdienten Taler für die Kinder anderer aus. Natürlich betreiben die Stadt und die Kirche Armenfürsorge, aber ich habe den Eindruck, dass sie es so billig wie möglich tun.«
    »Aber man sammelt doch Spenden. Ich habe Aufrufe gesehen, und es finden Wohltätigkeitsveranstaltungen statt.«
    Mir entwich ein verächtliches Schnauben. »Melli, wir beide haben es in Berlin gut gehabt und sind mit dem Elend der Waisen- und Arbeiterkinder nie wirklich behelligt worden. Ich habe erst in Elberfeld am eigenen Leib erfahren, wie viel Not es gibt. Und wie viel Frömmelei. Wohltätigkeitsveranstaltungen – dass ich nicht lache! Anton hat mich ein paar Mal auf solche Gesellschaften mitgenommen. Hochtönendes Tuten über christliche Nächstenliebe hört man da, vollmundige Sermone über bürgerliche Pflichterfüllung, sentimentales Gedudel über den unermüdlichen Einsatz im Kampf gegen Hunger und Bedürftigkeit. Aber keiner kommt auf die Idee, eigenhändig die Kinder zu entlausen, ihnen saubere Kleider anzuziehen oder vernünftige Schlafstätten zu schaffen. Jede Dame lässt sich als Lady Charity feiern, wenn sie mit einem zarten Spitzentüchlein die mühsam herausgequetschte Zähre des Mitleids von der Wange tupft. Aber die Äpfel in ihrem Garten lässt sie lieber am Boden verfaulen, statt sie zu sammeln und sie den Kindern zu geben.«
    »Du sammeltest Äpfel?«
    »Ich habe es im Herbst getan, ja. Und auch Birnen und Nüsse. Hermine und Margarethe stand der schiere Widerwillen in den Augen.«
    »Und dein Mann?«
    »Er fand mich großmütig. Er glaubt, ich tue es des verlorenen Kindes wegen. Aber eigentlich handele ich aus purer Langeweile.«
    »Und aufgrund deines guten Herzens.«
    »Kann sein.«
    »Spendet dein Bevering Geld für die Armen?«
    »Sicher. Sogar ganz beträchtliche Summen.«
    Melli bekam plötzlich einen spitzbübischen Ausdruck. »Könntest du ihn überreden, dir einen Teil davon zur Verfügung zu stellen?«
    »Sicher, aber warum?«
    »Um ihn direkt für die Waisenkinder auszugeben. Ich fürchte, manche Gelder haben die Eigenart, irgendwo zu versickern. Und dir gäbe es endlich wieder die Möglichkeit, am Backofen herumzuwirtschaften. Denn ich glaube, das fehlt dir ganz fürchterlich.«
    Wie recht sie hatte, meine scharfsichtige Freundin. Es fehlte mir.
    »Mach die Kinder nicht nur satt, mach sie glücklich!«, hatte sie gefordert, und daher buken wir nun Schokoladenplätzchen.
    Feinherber, aromatischer Schokoladenduft erfüllte die Küche, als ich das nächste fertige Blech aus dem Ofen zog. Die Plätzchen waren kunstlose Kreise, doch braun und knusprig. Für die Kunden im

Weitere Kostenlose Bücher