Göttertrank
dann fragend an.
»Dürfte ich für Heinz auch einen mitnehmen? Ich habe meinen Gehilfen im Verdacht, ein heimliches Naschmäulchen zu sein.«
»Natürlich, nehmen Sie den ganzen Teller mit, Anton, und schenken Sie den Kindern der Kundschaft auch jeweils einen.«
»Eine gute Idee, mein Kätzchen.«
Auf dem Weg zum Waisenheim am späteren Nachmittag schwieg Hermine eisig mit uns, um ihr Missfallen zu bekunden. Dieses Missfallen wurde noch deutlich größer, als sie bemerkte, welch durchschlagenden Erfolg unsere Schokoladenplätzchen hatten. Zuerst waren die Kinder kritisch gewesen, hatten sich nicht getraut zuzugreifen, aber der süße Duft lockte, und es war uns eine Freude zu sehen, wie nach und nach ein jedes mit verzückter Miene das Gebäck verschlang. Da war ein Mädchen, das sich Krümelchen für Krümelchen von seinem Keks abbrach und sie mit geschlossenen Augen einzeln auf der Zunge zergehen ließ. Einige andere kauten mit vollen Backen darauf und versuchten, mehr zu ergattern, zwei gerieten dabei sogar in Streit, und Melli musste sie mit einer derben Kopfnuss trennen. Dazwischen trieb sie ihre Scherze mit den Kindern, schnitt ulkige Grimassen, sang lustige Reime und parodierte hinter Pfarrer Gerlachs Rücken den behäbigen Geistlichen in einer schamlosen Pantomime. Selbst ich hatte Mühe, mir das Lachen zu verkneifen.
Ja, wir hatten die Kinder für eine kleine Weile glücklich gemacht, und ich steckte dem Mädchen, das so genüsslich die Kekskrümel geknabbert hatte, heimlich noch einen zweiten in ihre Schürzentasche. Ihr schmutziges Gesichtchen drückte eine derart ehrfürchtige Dankbarkeit aus, dass mir die Augen feucht wurden.
Wir schilderten unseren Erfolg beim Abendessen, und Anton stimmte uns zu.
»Sie haben ein hartes Los, diese Kinder. Und natürlich ist es vorrangig, ihnen täglich eine warme Mahlzeit zu reichen. Aber warum nicht dann und wann auch eine kleine Freude machen?«
»Sie danken es einem nie, Anton. Seien wir ehrlich, sie sind der Abschaum der Gesellschaft.«
»Nur weil sie ohne Eltern aufwachsen, Margarethe? Das ist nicht ihre Schuld.«
»Ihre Eltern – pah! Trunksüchtiges Gesindel, faul und arbeitsscheu. Sie saufen sich zu Tode und lassen die Kinder im Dreck verkommen.«
Ja, ich wusste wie es war, seinen Trost in der Flasche zu suchen. Und am liebsten hätte ich Margarethe diese Episode meines Lebens in ihr selbstgerechtes Gesicht geschrien. Aber so schluckte ich nur, während mir Melli einfach die Hand streichelte. Ihr hatte ich von dieser unrühmlichen Zeit ohne Beschönigung berichtet.
»Und dann auch noch kostbaren Kakao!«
Wieder giftete Hermine los. Es ließ ihr wohl keine Ruhe, dass auch andere in den Genuss der von ihr so begehrten Schokolade kommen sollten.
»Natürlich ist Kakao ein teures Produkt, aber wie ich meine Amara kenne, hat sie die Zutaten genau durchkalkuliert, und die kleine Speisung hat genau den Betrag gekostet, um den sie mich dafür gebeten hat. Habe ich nicht recht, mein Kätzchen?«
»Es ist auf den Pfennig genau aufgegangen, Anton. Aber möglicherweise werde ich das nächste Mal tatsächlich auf den Kakao verzichten und dafür mehr Mandeln verwenden. Dann könnten wir vermutlich drei, vier Bleche Kekse mehr backen.«
»Ich bin mehrfach gefragt worden, nach welchem Rezept die Schokoladenplätzchen hergestellt wurden. Die kleinen Gaben an die Kunden waren ein großer Erfolg. Ich glaube nicht, dass du davon abkommen solltest.«
»Wir könnten die Schokolade wieder selbst herstellen, Amara. Dann würde es billiger«, schlug Melisande vor, und Anton fragte verblüfft: »Selbst herstellen?«
Ich erklärte ihm, auf welche Weise wir früher die getrockneten Bohnen selbst geröstet und gemahlen hatten.
»Es ist harte Arbeit, aber davor scheue ich mich nicht. Nur hat man sich heutzutage an das Kakaopulver von van Houten gewöhnt. Dem Geschmack der reinen Schokolade – vor allem bei Kindern – wird sicher kein großer Erfolg mehr beschieden sein.« Ich lächelte ihn an. »Aber Sie haben recht, ich werde auch das nächste Mal wieder Schokoladenplätzchen herstellen.«
»Ich verstehe gar nicht, warum der Kakao so teuer ist«, nörgelte Margarethe schließlich. »Wenn es doch nur darum geht, ihn selbst zu rösten und zu mahlen, damit er billig wird.«
»Das ist sicher nicht alles. Ich fürchte, der Anbau der Bäume ist schon recht problematisch«, erklärte Anton ihr, aber mir fiel Jan Martins Schilderung der Plantagenarbeit ein.
»Es ist
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