Göttertrank
von den Ereignissen, dann seufzte sie, ebenso von dem Schicksal der darin verwickelten Menschen berührt.
»Julius von Massow muss glücklich sein. Wir sollten ihm, wenn er das nächste Mal zu Gast ist, sagen, dass wir seinen Bruder auch kennen. Und vielleicht ihm die Briefe zeigen, die wir von ihm bekommen haben, Mama.«
»Gute Idee, Kind.« Sie schlug die Gazette zu und trank sinnend ihren Tee. »Ist ein guter Mann, der Alexander Masters. Hatte Mitleid mit Amara. Aber sie hat ihn nicht getroffen, da in Elberfeld. Steht hier, er musste in Festungshaft das Jahr. Wir waren dumm, Melli. Sehr dumm.«
»Ja, MacPherson hat uns zu Recht die Leviten gelesen.« Auch Melisande war beklommen, als sie daran dachte, was sie ihrer Freundin eingebrockt hatten. »Aber jetzt ist sie Apothekersgattin, Mama. Und bestimmt eine vornehme Frau.«
»Wird ihr hoffentlich gut gehen. Und Masters ist auch in Köln. Sie sollte ihn treffen. Ich fühle, die beiden gehören zusammen.«
Melisande lachte leise. »Mamatschka, du bist eine unverbesserliche Romantikerin. Sie sind beide verheiratet.«
»Ah pah. Mit Butter verdirbt man den Brei nicht.«
Jetzt prustete Melli sogar los, dann aber wurde sie plötzlich ernst.
»Ich möchte sie wiedersehen. Ich vermisse Amara. Und ich möchte unseren Fehler so gerne wiedergutmachen.«
»Du willst nach Köln reisen?«
»Ich habe schon häufiger daran gedacht. Irma und Jeanette kommen mit dem Café hervorragend zurecht. Du brauchst mich hier nicht unbedingt.«
»Mhm. Brauche ich doch. Aber ist mein Vögelchen flügge geworden, was? Will aus dem Nest fliegen?«
»Ja, das wohl auch.«
»Gut, erst wir rechnen, dann wir sehen.«
Peter-Paul Reinecke schmetterte die Gazette auf den Sessel und stand auf. Wenn es ihm anatomisch möglich gewesen wäre, hätte er sich vor lauter Frustration am liebsten in den Hintern gebissen. Sein Schwiegersohn, dieser verlogene Halunke, hatte die Stirn, einen Artikel über sich verbreiten zu lassen, in dem er seine edle Abkunft der Welt verkündete. Verdammt, wie stand er jetzt da! Wie ein gelackmeierter Hanswurst! Er hörte schon, wie sich seine Geschäftspartner hämisch nach dem Herrn Grafen erkundigten. Und was hatte er dann zu sagen? Dass er ihn weiterhin für einen charakterlosen Verbrecher hielt? Das war er zwar, aber er trug auch einen alten, überaus einflussreichen Namen. Wen interessierte da noch eine Ehrenstrafe, die er in einer Festung abgebüßt hatte? Knurrend stapfte er vor dem Fenster auf und ab, und die Holzdielen knarrten und knirschten protestierend unter seinen Schritten. Der Schuft hatte sich inzwischen in einer miesen Hinterhofschmiede eingenistet, die verflucht noch mal plötzlich die besten Hydraulikpumpen des Landes herstellte. Masters’ Konstruktion, ohne Zweifel. Der Mann hatte recht gute Ideen gehabt, und manche davon beutete er, Reinecke, jetzt hemmungslos aus. Es hatte ja nie eine Abmachung darüber bestanden, Masters daran irgendwelche Urheberrechte zugestehen zu müssen. Aber wenn er jetzt noch für ihn arbeiten und mit seinem Titel protzen würde, könnte das Unternehmen prächtige Gewinne einfahren.
Er musste ihn irgendwie wieder einfangen.
Aber wie?
Lange brauchte Reinecke dann jedoch nicht zu überlegen. Julia, in Begleitung dieser hochnäsigen Gouvernante mit ihrem dreisten Blick, kam die Straße entlanggeschlendert. Lebhaft unterhielten sich die beiden und hielten sich lachend in den neckischen Böen des Aprilwindes die Strohschuten auf ihren Köpfen fest.
Masters wollte seine Tochter. Unbedingt.
Verständlich, er wollte Komtess Julia die entsprechende Erziehung angedeihen lassen. Er sollte sie kriegen. Zusammen mit Paula, Gräfin von Massow. Ein strenges Gespräch mit seiner Tochter würde diese schon zur Einsicht bringen, Wie nutzbringend eine Versöhnung mit ihrem Gatten für alle wäre! Und selbst wenn es ihr nicht gelang, ihn wieder nach Elberfeld zu locken, so hatte sie doch ein ausgesprochen nützliches zeichnerisches Talent. Technische Entwürfe verstand sie zwar nicht, aber abpausen konnte sie diese Zeichnungen durchaus.
Ja, das wäre eine überaus nützliche Beschäftigung für sie.
Und hier konnte er mit gutem Gewissen wieder von seinem Schwiegersohn, dem Herrn Grafen, sprechen.
Laura von Viersen las mit unbewegter Miene den Artikel, während ihr Gemahl sich mit einem Jagdmagazin und der Cognacflasche auf der anderen Seite des Kamins vergnügte. Ein beinahe schmerzlicher Stich von Traurigkeit durchfuhr sie
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