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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Verarbeitungsschritt gerollt werden konnten. Hier standen auf stabilen Stahltischen große Pfannen, in denen durch konische, umlaufende Walzen die Bohnen zerkleinert wurden. Alle diese Geräte wurden über die Transmissionswelle angetrieben, die zur Watt’schen Dampfmaschine führte, die der Vater des jetzigen Besitzers schon 1798 installiert hatte. In anderen, hohen, luftigen und gut beleuchteten Räumen arbeiteten Dutzende von Frauen, die entweder die Schokoladenprodukte verfeinerten oder auswogen und verpackten. Nichts glich in dieser durchdachten Fabrikanlage den grauenhaften Verhältnissen in den Webereien und Spinnereien, die Alexander bisher kennengelernt hatte. Jan aber beeindruckte am meisten der alles durchdringende Duft von Kakao.
    Ihre Gespräche mit dem überaus entgegenkommenden Mister Fry waren für beide sehr lehrreich. Der Fabrikant hatte weit reichende Ideen, seine Produkte zu vermarkten, und engagierte sich stark in Sachen Eisenbahnbau. Da es um das Transportieren seiner empfindlichen Ware ging, machte er sich intensive Gedanken über einen gut organisierten Paketversand, der ihm einerseits auch weiter entfernt liegende Gebiete erschließen würde, zum anderen die schnelle Lieferung der notwendigen Rohstoffe aus dem Hafen oder den Zuckerfabriken gewährleisten sollte. Francis Fry war ein Mann, der in Zeiten und Wegen dachte, und das gab Alexander viel zu denken.
     
    An einem stürmischen Junitag setzten sie dann nach Belfast über. Zu Alexanders Verdruss zeigte Jan Martin feste Seebeine und schien tatsächlich seinen Spaß an der auf den Wellen tanzenden Nussschale zu haben, die dieser Kapitän großspurig Schiff nannte. Er packte sogar mit an, als es darum ging, die Segel zu reffen, brüllte mit Donnerstimme gegen den heulenden Wind an und verlor nie sein vergnügtes Grinsen unter seinem salzverkrusteten Bart, während Alexander versuchte, seinen aufgeregten Magen daran zu hindern, das üppige Frühstück zurück in seine Kehle zu drücken. Er war heilfroh, als sie mit der Abendflut in den geschützten Hafen einliefen.
    Eine Woche verbrachten sie gemeinsam in Belfast, dann trennten sich ihre Wege. Alexander zog es zu den Fabriken, Jan Martin aufs Land. Er wollte einige Tage am Lough Neagh wandern, um die dortige Flora zu studieren.
     
    Das Dörfchen Antrim musste wohl aus einem Märchen entsprungen sein, war sein erster Eindruck. Der schlanke, hohe Rundturm war das Erste, was man sah, und er weckte die Vorstellung von verwunschenen Prinzessinnen oder nächtlich umgehenden Weißen Frauen. Verzückt wanderte Jan Martin durch die von zweistöckigen Häuschen gesäumte Straße. Auf dem Marktplatz fand gerade jetzt ein Viehmarkt statt, und die Anwohner und Händler, Bauern und Besucher schienen sich alle hier versammelt zu haben. Begeistert lauschte er dem Stimmengewirr, wobei er von dem Brüllen der Ochsen, dem Wiehern der Esel, dem Gackern der Hühner genauso viel oder wenig verstand wie von den Rufen der Anbieter, dem Schwatzen der Marktfrauen oder dem Johlen der herumtobenden Kinder.
    Ihm geläufiges Englisch sprach man hier allerdings nicht.
    Aber er erregte Aufsehen. Manchen Blick fühlte er in seinem Rücken, manches verblüffte Zwinkern, Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Er nahm seinen Mut zusammen – noch immer war Jan Martin Fremden gegenüber schüchtern, auch wenn ihm das niemand glauben würde – und fragte einen jungen Mann mit einer karierten Kappe auf wirren Locken nach einem Guesthouse. Er bekam eine einigermaßen verständliche Antwort und machte sich auf die Suche nach der genannten Unterkunft.
    Als er sich den Staub der Wanderung abgewaschen hatte, folgte er dem Rat des stämmigen Wirtes und suchte eine Art Kneipe auf, in der es ebenso lebhaft zuging wie auf dem Markt. Die Iren, das hatte er schon in Belfast festgestellt, waren wenn, dann nur sehr weitläufige Verwandte der nüchternen Engländer, mit denen er es bisher zu tun gehabt hatte. Was für ein Gegensatz zu der vornehm steifen Atmosphäre im Cocoa Tree ! An dem langen Tresen standen Männer in derben Hosen, Pullovern aus ungebleichter Wolle oder Jacken aus grobem Tweed. Alle trugen irgendwelche Kopfbedeckungen, die von der Witterung, nicht vom Hutmacher geformt waren, verwaschene, wohl nicht ganz saubere Baumwolltücher, zweckmäßig geknotet, ersetzten die Krawatten, und zerschrammte Stiefel, manchmal sogar Holzschuhe krachten beim Gehen auf die Dielen. Die Unterhaltung mochte sich durchaus um kultivierte Themen

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