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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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drehen, doch sie wurde mit einem körperlichen und stimmlichen Einsatz geführt, mit der auch jeder Einzelne eine größere Bühne beherrscht hätte.
    Da sie alle gleichzeitig ihre Aufführung durchspielten, war der Effekt ohrenbetäubend.
    Irgendwer hatte ein Einsehen mit dem Fremden, und er konnte dem Wirt verständlich machen, dass er eine Mahlzeit und ein Bier wünschte. Er fand sogar einen Eckplatz an einem Tisch, an dem er von einem Fischhändler – dem Geruch nach – freundlich willkommen geheißen und vermutlich einem Hufschmied – der Armmuskulatur nach – mit einem gutturalen Brummen geduldet wurde. Die beiden setzten ihr Gespräch dann unverdrossen fort, und Jan Martin gewöhnte sich allmählich an den melodiösen Tonfall, der der Landbevölkerung eigen war. In Belfast hatte er mit Akademikern konferiert, sich mit weitgereisten Geschäftsleuten ausgetauscht und auf Gesellschaften der höheren Kreise, zu denen sie mühelos auf Grund ihrer Referenzen Eingang gefunden hatten, mit gebildeten und schöngeistigen Damen geplaudert.
    Die Dame, die ihm jetzt eine gewaltige Schüssel mit etwas herrlich Duftendem servierte, mochte vielleicht auch schöngeistig sein – auf den ersten Blick jedoch war sie einfach nur schön. Beinahe atemlos sah er zu ihr auf. Sie hatte schwarze Haare, die sie wohl zu Beginn des Tages aufgesteckt hatte, von denen sich nun aber einzelne Kringel lösten und um das perfekte Oval ihres Gesichtes spielten. Die vornehmen Ladys hätten sicher alle möglichen Geheimmittelchen angewendet, um die Sommersprossen auf einer derart hellen Haut auszumerzen, doch Jan Martin verzauberten die verstreuten Pünktchen auf dem warmherzig lächelnden Gesicht.
    »Unser Stew, Sir. Mit Kohl und Schmalz und Kartoffeln und … mhm … allen möglichen Resten. Ist aber gut und macht satt.«
    »Ohne Zweifel. Es riecht wunderbar. Wie heißen Sie?«
    Jan Martin hatte vor Staunen über diesen dreisten Satz beinahe seine Zunge verschluckt, die ihn so vorwitzig formuliert hatte. Aber sie lachte nur. »Morna O’Niall. Ruft mich Morna, wenn Ihr noch etwas braucht.«
    Sie verließ ihn mit schwingenden Röcken, und er ertappte sich, dass er ihr mit erhobenem Löffel nachstarrte.
    »Hübsches Weib, aber eine Kratzbürste, unsere Morna«, grummelte sein Tischnachbar mit zarter Warnung im Blick.
    »Ah ja, sehr hübsch«, murmelte Jan und begann hastig zu essen. Irgendwer sägte auf einer Fiedel herum, und der Fischhändler begann, mit zwei Löffeln höchst kunstvoll einen schwierigen Rhythmus dazuzuklappern. Rauchschwaden aus Pfeifen zogen durch den Raum, Morna jonglierte Tabletts über die Köpfe der Sitzenden, zwei Halbwüchsige zankten sich lautstark und wurden von einem Riesen in Priesterkleidung sachgerecht getrennt, als sie zu Handgreiflichkeiten übergehen wollten, ein Hund trottete zur Theke und kläffte seinen Herrn mahnend an. Als er nicht sofort reagierte, schnappte er nach dem Jackenärmel und zerrte daran. Jan zuckte zusammen. Das Versorgen von Bisswunden hätte er sich jetzt gerne erspart.
    »Mairie hat das Essen fertig«, erläuterte der Hufschmied. »Schickt Benny, um Sean heimzuholen.«
    »Ah so.«
    Nicht ganz beruhigt, kratzte Jan seinen Teller leer. Es hatte für einen Kohlauflauf aus Resten wirklich gut geschmeckt, und das dunkle Bier verursachte ihm eine wohlige Schwerelosigkeit. Sogar das Gefiedel nahm plötzlich eine erkennbare Melodie an, und als eine raue Stimme dazu noch ein Lied sang, das schwermütig von Heldenmut und Niederlagen zu handeln schien, fühlte er sich ausgesprochen wohl.
    »Noch ein Bier, Sir? Oder mehr zu essen?«
    Morna stand neben ihm und nahm seinen Teller an sich.
    »Ein Bier noch, bitte. Sind Sie die landlady hier?«
    »Aber nein. Ich helfe Colin O’Toole nur manchmal an Markttagen aus.«
    Sie wirbelte wieder zurück zur Theke, und der Fischhändler klärte Jan auf: »Hat’s nicht leicht gehabt, unsere Morna. Hat ihren Mann vor drei Jahren auf See verloren. War ein Fischer, der junge O’Niall.«
    »Raue See habt ihr hier, hab ich schon gemerkt.«
    »Man lernt, sie zu achten!«
    Und schon waren sie in ein Gespräch über Seefahrt und ihre Tücken verwickelt, wobei Jan ganz deutlich in der Achtung der Männer stieg, als er von seinem Schiffbruch berichtete. Immer mehr Zuhörer und Erzähler versammelten sich um seinen Tisch, und ein Bier nach dem anderen wurde ihm spendiert.
     
    Am nächsten Morgen musste er seinen Brummschädel in einem Ruderboot auf dem See auslüften,

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