Göttertrank
auslöste, war gar nicht so groß. Die Erkenntnis hatte beinahe etwas Selbstverständliches, und so fragte ich mit ganz normaler Stimme: »Werden Sie mir verraten, Herr de Haye, warum Sie meine Mutter, Birte Zeidler, verlassen haben?«
Sehr, sehr langsam stellte er die Tasse ab, die er in der Hand gehalten hatte.
»Weil ich...« Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die dadurch noch ungeordneter abstanden. »Ich wusste es nicht, Madame Amara.«
»Dass sie mit mir schwanger war? Nein, das wussten Sie sicher nicht.« Ich legte meine Hand auf seinen Arm. Er sah erbarmungswürdig aus. »Ich nehme es Ihnen nicht übel. Die Dinge geschehen. Mama hat eine glückliche Ehe mit einem Konditor geführt, doch sie starb kurz nach ihm, als er bei einem Unfall ums Leben kam.« Mehr brauchte er im Augenblick nicht zu wissen.
»Ich habe mich nach ihr erkundigt, immer wenn ich wieder in Magdeburg war. Man wusste nichts über sie. Aber... hat sie denn nie von mir gesprochen?«
»Nur einmal. Ich hatte sie gefragt, wer mein Vater sei, und sie sagte, er sei zu einer langen Reise aufgebrochen und nicht wiedergekehrt. Was, wie ich nun weiß, der Wahrheit entsprach.«
Er nahm meine Hand und drückte sie fest, dann hob er sie an seine Lippen und berührte sie leicht wie ein Hauch.
»Sie werden mir viel erzählen müssen, meine Tochter. Darf ich um diese Gunst bitten?«
»So Sie mir ebenfalls viel erzählen, Herr de Haye.«
»Ein heiliges Versprechen, Amara. Sie hat Sie die Bittere genannt, und das möchte wie ein Omen klingen, nach dem, was Sie mir berichtet haben.«
»Die Bittere?«
»Amara hat seine Wurzel in dem lateinischen Wortstamm amarus , bitter.« Er lächelte mich an, hielt meine Hand aber noch immer in der seinen. »Doch wir wollen keine weitere Aufmerksamkeit auf uns lenken. Aber ich möchte Sie herzlich bitten, mich morgen zu besuchen.«
Die Erkenntnis, dass ich tatsächlich meinem leiblichen Vater begegnet war, traf mich erst zu Hause mit voller Wucht. Ich war Melli mehr als dankbar, denn sie verlor keine Worte darüber, und am nächsten Tag war mein Kopf so voller Fragen, Zweifel und ungeklärter Gefühle, dass ich kaum in der Lage war, mich für ein Besuchskleid zu entscheiden.
Lothar de Haye hatte mir eine Kutsche geschickt, und mit kalten Fingern und einem drückenden Gefühl im Magen ließ ich mich zu seinem Haus fahren.
Er empfing mich mit Herzlichkeit, aber auch bei ihm vermeinte ich, eine gewisse Anspannung zu spüren.
»Setzen Sie sich an den Kamin, meine Liebe. Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«
Ich akzeptierte ein Glas Wein und suchte nach Worten, doch mein Vater – wie ungewohnt, ihn selbst in Gedanken so zu titulieren – nahm mir dankenswerterweise das Reden ab.
»Ich will Ihnen von mir berichten, Amara, denn das bin ich Ihnen schuldig. Sie wissen vermutlich, dass ich der jüngere Bruder von Eugenia von Briesnitz bin.«
»Der Onkel von Max und Dorothea. Das wusste ich natürlich.«
»Was Sie sicher nicht wussten, war, dass ich das schwarze Schaf einer sehr konservativen hugenottischen Familie bin, die schon lange in Berlin ansässig ist.«
»Weder Ihre Fellfarbe noch der Stall waren mir bekannt«, rutschte mir heraus, und er lachte auf.
»Nun wissen Sie es. Ich will es nicht als Entschuldigung vorbringen – ich war ein junger Rebell, verließ mit sechzehn mein Elternhaus im Streit, um mich den Franzosen anzuschließen, tobte mich in den Schlachten von Jena, Talavera und Ciudad Rodrigo aus. Als sich das Blatt für den Kaiser zu wenden begann, desertierte ich. Nicht sehr rühmlich, ich weiß, aber das Soldatenleben hatte seinen Reiz für mich verloren. Es hat mich aber eine Menge gelehrt. Härte vor allem und die Kunst des Überlebens. Ich schlug mich von Spanien nach Berlin durch, nur um von meinem Vater des Hauses verwiesen zu werden. 1812 suchte ich deshalb meine Eugenia auf, die mich, wenn auch widerwillig, bei sich aufnahm. Oh, ich vergaß zu erwähnen – ganz mittellos war ich nicht. Ich hatte das Erbe meines jüngst verstorbenen Patenonkels angetreten und auch durch... mhm... Plünderungen einen gewissen Kapitalstock in Form von Schmuck und Edelsteinen angelegt. Das machte mich den Briesnitzens gefällig. Der Baron ist kein guter Wirtschafter, verstehen Sie.«
»Ja, es klingt dann und wann an, wenn Max über seine Eltern spricht.« Ich konnte eine gewisse Faszination nicht leugnen. Dieser weltgewandte Mann mir gegenüber gab zu, sich an Raub,
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