Göttertrank
Schokoladengebäck, das ich ebenfalls zu diesem Anlass geliefert hatte. Über einem aufgeschnittenen Cremekuchen, der mit kandierten Früchten verziert war, blieb sie stehen, fuhr herum und kam auf mich zugeschossen.
»Woher hast du dieses Zeug?«, fauchte sie mich an.
Ich setzte mein Madonnenlächeln auf, um meinen Ärger zu kaschieren, und antwortete ihr in ruhigem Ton: »Mein neuer Koch hat diesen Kuchen zubereitet, Frau von Finckenstein.«
»Dein neuer Koch? Gérôme Médoc, was? Du also hast ihn mir abspenstig gemacht. Du hast ihn überredet, mich zu verlassen.« Ihre Augen funkelten vor Wut, und dann stieß sie hervor: »Ich kann mir gut vorstellen, mit welchen Mitteln du ihn zu dir gelockt hast!«
»Dorothea!« De Haye legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie schüttelte sie ab und holte Luft, um weitere Anschuldigungen loszuwerden. Leise, aber scharf fuhr er sie an: »Dorothea, du befindest dich in Gesellschaft. Benimm dich! Du blamierst mich!«
Dottys Blick teilte mir mit, dass sie mich am liebsten vergiften würde, aber sie wandte sich ab und bezog wieder ihren Posten am Fenster. Zum Glück hatten nur wenige Gäste ihren Auftritt bemerkt, und de Haye lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Gesundheitsschokolade, die ich in Form von kleinen Täfelchen mitgebracht hatte. Die harmloseste Form, nicht die mit Abführoder Wurmmitteln, sondern jene mit Hanfextrakt, die gerne zur Beruhigung oder Entspannung eingenommen wurden.
De Haye kommentierte auch sie. »Eine neue Erfindung, wie ich sehe – die Essschokolade. Doch tatsächlich ist sie nicht neu, denn schon die alten Völker Südamerikas nutzten sie als Reiseproviant. Die Azteken beispielsweise waren sehr erfolgreiche Kriegsherren, und sie versorgten die Soldaten mit einer brotähnlichen Zubereitung aus Maismehl, Honig und Kakao. Das war eine haltbare und nahrhafte Verpflegung auf den Feldzügen.«
Ich ergänzte, als er mir einen kleinen Seitenblick zusandte: »Wie ein guter Bekannter von mir, der Leiter des Botanischen Instituts der hiesigen Universität, Doktor Jantzen, inzwischen herausgefunden hat, muss man tatsächlich dem Kakao einen hohen Nährwert bescheinigen. Die Bohne besteht zu mehr als der Hälfte aus Fett, enthält ernährungswichtige Eiweißstoffe und Kohlehydrate, und das Theobromin wirkt, wie er sagt, ähnlich aufmunternd wie das Coffein im Kaffee. Das hat sicher auch zu seiner Beliebtheit bei den Aztekenkriegern beigetragen.«
Es entspann sich eine Diskussion um die wissenschaftlichen Begriffe, die einer der Anwesenden weit besser erklären konnte als ich. Lothar de Haye hörte eine Weile zu, wandte sich dann aber wieder mir zu.
»Darf ich Sie fragen, Madame Bevering, wie es kommt, dass Sie so ganz offensichtlich Ihr Leben dem Kakao verschrieben haben?«
»Weil ich mit dem Duft der Schokolade groß geworden bin, Herr de Haye. Meine Mutter war Zuckerbäckerin, und von ihr habe ich auch sehr früh das Zubereiten des Getränks gelernt. Aber gemocht habe ich die Schokolade nie. Sie war mir immer zu bitter.«
»Jetzt nicht mehr, möchte man meinen. Denn diese Leckereien lassen einen feinsinnigen Geschmack vermuten.«
»Wie soll ich sagen. Herr de Haye – es war das Leben, das mich gelehrt hat, dem bitteren Kakao die Süße zu verleihen und ihm das charakteristische Aroma zu entlocken«, erwiderte ich mit einem Augenzwinkern und fügte der Schokolade in meiner Tasse eine ganz winzige Prise Pfeffer hinzu.
»Und eine kleine Schärfe?«
»Und eine gewisse Schärfe.« Er musterte mich beinahe beleidigend intensiv, und ich fragte mit herausforderndem Lächeln zurück: »Welchen Geschmack hat Sie das Leben gelehrt, Herr de Haye?«
Seine Antwort kam sehr prompt: »Dass das Meer und die Tränen salzig sind.«
»Sie sind ein weitgereister Mann, Sie werden es wissen.«
»Ich bin weit und viel gereist, Madame Bevering, und habe erst jetzt erkannt, wie viel ich hinter mir gelassen habe, das zu halten sich gelohnt hätte. Ich habe die ganze Schärfe der Säuren, die tiefste Bitternis der Seele und gelegentlich die unaussprechlichste Süße ausgekostet. Aber Sie haben mir soeben vor Augen geführt, dass es die Ausgewogenheit der unterschiedlichen Aromen ist, die den wahren Genuss verursacht. Dabei hat mir diese Tatsache eine begnadete Zuckerbäckerin schon vor dreißig Jahren zu erklären versucht.«
Ja, dass es auf die Ausgewogenheit der Würze ankam, hatte meine Mutter mir oft genug eingeprägt. Die Überraschung, die seine Bemerkung bei mir
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