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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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allem Auskunft über ihren acht Monate alten Enkelsohn Victor Heinrich Masters beinhalten, aber auch eine Beschreibung der neuen Saloneinrichtung in Blassgrün und Elfenbein, eine von Alexanders Bemühungen, einen wetterfesten Gartenpavillon zu bauen, und etwas über Julias derzeit noch nicht ganz vollkommenen Versuche, als eine junge Dame von Stand aufzutreten. Aber diesen letzten Schliff würde sie sowieso im Herbst erhalten, wenn sie unter der Ägide von Linda und Julius in die Berliner Gesellschaft eingeführt wurde. Auf jeden Fall wollte ich Julias gelungene Skizzen von Victor, dem Haus und Puschok hinzufügen. Der Kater hatte einst drei Tage geschmollt, als wir ihn gewaltsam von Köln nach Bayenthal entführt hatten, inzwischen aber genoss er den großen Garten und Hannes’ grenzenlose Anbetung.
    Jan Martins Epistel hatte den Umfang eines kleinen Gebetbuchs und strahlte aus jeder Zeile Zufriedenheit aus. Auch er sah der Geburt eines Sohnes oder einer Tochter entgegen, vermutlich schon in den nächsten Tagen. Ihm musste ich vor allem von den Fortschritten in der Fabrik berichten. Gleich nach dem Beethovenfest hatten wir, noch mit ihm gemeinsam, die Gebäude entworfen, im März, als der Winter seine Eiseshärte aus dem Boden gezogen hatte, waren er und Inez abgereist, und wir hatten mit dem Bau begonnen. Inzwischen waren nicht nur die lange Fabrikhalle, das Kesselhaus, die Lagerräume und die Zufahrt fertiggestellt, sondern auch unsere Villa war im vorigen Monat bezugsfertig geworden. Das kleine Häuschen, das Alexander so liebevoll hergerichtet und in dem ich unseren Sohn geboren hatte, wurde inzwischen von dem neu eingestellten Betriebsführer und seiner Frau bewohnt. In einem Monat sollte die Einweihung der Schokoladenfabrik stattfinden, die danach ihren geregelten Betrieb aufnehmen würde.
    Wir lebten derzeit alle miteinander in höchster Anspannung. Die einzelnen Maschinen hatte Alexander schon mehrmals zur Probe laufen lassen, und Julia war ihm dabei nicht von der Seite gewichen. Es mochte ungewöhnlich für ein junges Mädchen sein, sich derart für Technik zu interessieren, aber ihr verdankten wir tatsächlich ein paar ganz ausgezeichnete Ideen. So hatte Alexander mit seinen Ingenieurfreunden lange überlegt, wie man die Schalen des gerösteten Kakaos von den Bohnen trennen konnte, ohne dass dabei mühsame Handarbeit notwendig war. In kleinen Mengen war das Worfeln mit flachen Körben durchaus praktikabel, aber bei den Massen, die wir zu verarbeiten hatten, würde es nur eine unnötige Unterbrechung des Arbeitsflusses darstellen. Julia war eines Tages staubig, mit mehlüberpuderten Haaren und voller Spelzen in den Kleidern in die halbfertige Fabrik gestürmt und hatte gerufen: »Ich hab’s! Papa, ich hab’s!«
    Sie hatte wirklich die Lösung gefunden, und zwar auf einem Bauernhof, in dessen Scheuer eine Windfege stand. Dieses erstaunliche Gerät bestand aus einem Kasten, in den ein Propellerrad eingebaut war. Drehte man es mit einer Handkurbel, erzeugte es einen Luftstrom. Dieser blies durch das Getreide, das von oben eingeschüttet wurde, und die leichten Spelzen wurden hinausgeblasen, während die schwereren Körner nach unten fielen. Es waren nur noch wenige Anpassungen nötig – und einige von Alexanders genialen Ideen -, und schon konnte auch diese Maschine an die große Antriebswelle angeschlossen werden. Auch bei der Herstellung der Tafeln hatte Julia mitgeholfen. Ich hatte sie bisher mit der Hand aus der Schokoladenmasse geformt. Jetzt brauchten wir aber viele und vor allem gleichmäßig große Tafeln gleichzeitig, die sich gut verpacken ließen.
    »Warum macht ihr das nicht so ähnlich wie Herr Waldegg, wenn er seine Bleilettern gießt?«, schlug dieses kluge Kind vor. Alexander hatte sie mit offenem Mund angestarrt und dann nur gesagt: »Ja, warum eigentlich nicht?«
    Jetzt hatten wir verzinkte Platten mit rechteckigen Vertiefungen, in die die warme Masse gegossen wurde. Erkaltete sie, konnte die Schokolade, die sich beim Abkühlen etwas zusammenzog, durch Umdrehen der Formplatte leicht entnommen werden. Dann aber begann die wirklich unvermeidbare Handarbeit. An langen Tischen würden bald die Frauen sitzen und die Schokolade in festes, bunt bedrucktes Papier einwickeln.
    »Amaras Göttertraum«, stand darauf.
    Das war der Einfall meines Vaters.
    Das alles musste ich Jan natürlich nicht mehr schreiben, diesen Teil hatte Alexander bereits übernommen. Ich würde ihm von der Einweihung

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