Göttertrank
schneidende Stimme befahl: »Sieh da, Masters! Mitten unter den Rebellen. Genau, wie ich es mir immer gedacht habe. Nehmt ihn fest, Männer!«
Alexander schnellte wie eine Stahlfeder hoch. Mit einem dumpfen Laut landete seine geballte Faust auf Karl August Kantholz’ Kinn. Der hob sich auf die Zehenspitzen und flog rückwärts in die Gaffer. Doch zwei der Polizisten waren schon hinter Alexander und packten ihn an den Armen.
Ich wollte aufspringen, doch der federleichte Druck von Macs Fingern ließ mich innehalten.
»Keine Angst. Kommt frei.« Ich musste mein Ohr fast an Macs Lippen legen, um ihn zu verstehen. »Daphne.«
»Ich merke es mir.«
»Leb wohl, Amara.«
»Mac. Nicht.«
»Spät... Dunkel.«
»Mac, mein geliebter Freund. Mac.«
Er hörte mich nicht mehr.
Julia, tränenüberströmt, staubig, verschmiert von Blut und Straßendreck, schmiegte sich an mich, während ich wie gelähmt Macs schlaffe Hände hielt.
»Amara. Da ist Herr Waldegg. Vielleicht...«
Sie wartete nicht auf meine Reaktion, und später war ich ihr sehr dankbar dafür. Cornelius Waldegg wurde auf uns aufmerksam, als sie laut seinen Namen rief, und was danach geschah, ging in einem wirren Strudel von Ereignissen und Gefühlen unter. Ich kam erst wieder richtig zu mir, als mir Antonia Waldegg das vollkommen verschmutzte Kleid auszog und dabei leise auf mich einredete.
»Sie bleiben erst einmal hier, Amara. Wir kümmern uns um alles. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Doch. Wo ist Alexander?«
»Das wird mein Mann schnell genug herausfinden. Er wird alles daransetzen, ihn auf freien Fuß zu bekommen. Er hat mit Kantholz noch ein, zwei Rechnungen zu begleichen.« Sie drückte mir eine Tasse heißen, süßen Tee in die Hand, die ich dankbar austrank.
Irgendetwas musste sie hineingegeben haben, denn als ich wieder aufwachte, war ein neuer Morgen angebrochen. Julia, in Rock und Bluse, vermutlich von der Gastgeberin geliehen, stellte ein Tablett mit Kaffee und Gebäck auf das Tischchen neben dem Bett. Sie sah müde, aber gefasst aus.
»Es hat einen gewaltigen Aufruhr gegeben, heißt es. Viele sind verletzt worden, und ein Fassbindergeselle ist zu Tode gekommen.«
»Du hast ein Talent für kurze Zusammenfassungen. Was ist mit Mac?«
»Der Pfarrer von Groß Sankt Martin hat sich bereit erklärt, ihn noch heute auf Melaten beizusetzen. Herr Waldegg hat das, frag mich nicht wie, durchgesetzt.«
So schnell hatte ich es nicht erwartet, aber es zeigte sich, dass es nützlich war, denn der Tod des unbeteiligten Gesellen hatte die Gemüter erregt, und dessen Beisetzung versprach weitere Aufregungen zu verursachen.
In einem grauen Kleid, das Antonias Tochter Sebastienne gehörte, stand ich wenige Stunden später an dem Grab, das sich weit von den großen Wegen des Friedhofareals hinter einer Eibenhecke verbarg. Mac hatte keine Angehörigen, und eigentlich dachten wir, es würde eine ganz stille Beerdigung. Doch als die Waldeggs, Julia und ich uns dort einfanden, tauchten nach und nach immer mehr Menschen auf. Schweigend versammelten sich Kolonialwarenhändler, Kaffeehausbesitzer, Konditoren und Kaffeeröster. Männer und Frauen, deren Aufträge er gesammelt und weitergeleitet, mit denen er geplaudert und gescherzt hatte. Denen er zugehört hatte, wenn sie Sorgen plagten, denen er, wie ich später erfuhr, oft geholfen hatte, indem er Kredite gewährte, deren Zahlungen er gestundet und gelegentlich sogar vergessen hatte.
Der Pfarrer fand unerwartet bewegende Worte, und als er geendet hatte, trat ich vor. Es kostete mich Überwindung, und meine Stimme war rau, als ich zu sprechen begann.
»Er war ein Wanderer, der seine Heimat zu Lebzeiten nicht gefunden hatte. Und doch hat er sein Ziel erreicht. Sie wissen es nicht, werte Damen und Herren, doch ich habe es seinen letzten Worten entnommen. Als ich ihn einst fragte, warum er nicht sesshaft werden wollte, erklärte er mir, er sei auf der Suche nach dem Mann, bei dem er eine Schuld abzutragen habe. Als er sich gestern vor meinen Mann warf und den tödlichen Hieb mit seinem Körper abfing, tat er es, weil ihm einst, vor dreißig Jahren auf dem Schlachtfeld von Plancenoit, ein kleiner Junge begegnet war. Das Leben eines Soldaten der Scots Grey wurde von Alexander von Massow, der verbotenerweise seinem Vater, einem hohen Offizier, gefolgt war, gerettet. Wie, das weiß ich noch nicht, denn mein Mann wurde vor den Augen des Sterbenden verhaftet und abgeführt.« Ich musste eine Pause machen, denn
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