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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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verstimmten Drehorgel ritten auf bunt bemalten Karussellpferden die Kinder im Kreis, an Wurfbuden versuchten junge Helden, das Zentrum zerlöcherter Zielscheiben mit Pfeilen zu treffen, und an etlichen Ständen labten sich die Durstigen an Wein oder Bier. Julia hatte sich in eine Kette aus geschliffenen Rheinkieseln verguckt, Alexander mir ein Herz aus Lebkuchen und Zuckerguss geschenkt, das wir mit klebrigen Fingern aufaßen, während wir uns durch die Menge drängten. Als irgendwo ein Tumult entstand, wie es immer auf derartigen Veranstaltungen zu erwarten war, versuchten wir, dem zu entkommen, denn einige Handwerksburschen ließen Knallkörper explodieren und riefen trunken wilde Parolen von Freiheit und Gleichheit.
    »Das wird Ärger geben«, warnte Alexander. »Bleibt dicht bei mir, wir wollen versuchen, zum Dom zu gelangen.«
    Das war mir nur recht. Ich fasste Julia an der Hand, und wir bemühten uns, hinter den Buden einen Weg zu finden. Schon hatten sich Polizisten eingefunden, deren hohe Pickelhauben über die Menge ragten. Mit Entsetzen sah ich Steine fliegen, harsche Befehle wurden gebrüllt, Säbel glitzerten plötzlich im Sonnenlicht.
    Ein Stand mit Fässern voller Äpfel stürzte um, und uns war der Durchgang versperrt.
    »Zurück!« Alexanders Hand drückte sich fest auf meine Schulter. »Zum Rhein hinunter!«
    Aber auch das wurde immer schwieriger. Mehrere Hunde hatten sich losgerissen und sprangen hysterisch kläffend zwischen den Kirmesbesuchern umher, Kinder heulten nach ihren Müttern, eine alte Frau in ausladender Krinoline war gestürzt, scheppernd brach der Eisenwarenstand zusammen. Wir schafften es bis zur Kirchmauer von Brigiden, dorthin aber waren auch einige der Handwerksburschen geflüchtet, und ihnen auf den Fersen die Polizisten. An die Wand gedrückt hofften wir, dass die wilde Schlägerei sich weiter nach vorne verlagern würde. Julia klammerte sich fest an meinen Arm, doch Angst stand nicht in ihrem Gesicht. Sie beobachtete das Treiben mit faszinierter Aufmerksamkeit. Und wahrscheinlich entdeckte sie deshalb ein bekanntes Gesicht in der Menge.
    »Amara, sieh, der Reisende.«
    Und wirklich, MacPherson kämpfte sich durch den rangelnden Haufen, ebenfalls brutal seine Ellenbogen und Fäuste einsetzend.
    »Amara!«, brüllte er über das Getöse hin. »Zu mir!«
    »Wer ist das?«, wollte Alexander wissen. Ich nannte Macs Namen, den er von meinen Erzählungen kannte. »Er ist ein Überlebenskünstler. Folgen wir ihm!«
    »Eine bessere Chance haben wir sowieso nicht.«
    Ich hätte mich wundern sollen, gerade jetzt und hier, in der Bedrängnis, auf Mac zu stoßen, aber ich tat es nicht. Er war immer da, wenn man ihn brauchte.
    Und er schaffte es, uns in ein schmales Gässchen zu lotsen, fort von den gewalttätigen Ausschreitungen auf dem Alter Markt. Wir erreichten den Rhein dort, wo die Pontonbrücke von Deutz endete, und hier blieben wir entsetzt stehen. Über die Brücke donnerten die Dragoner, und kaum hatten sie das Ufer erreicht, schlugen sie bereits mit blankgezogenen Waffen wahllos auf Passanten und Kirmesbesucher ein. Schmerzensschreie ertönten, Pferde wieherten, Gebrüll erfüllte die Luft.
    Es geschah schneller, als ich denken konnte. Einer der Dragoner preschte auf uns zu, holte mit dem Säbel aus, zielte auf Alexander.
    Mac sprang vor.
    Die Klinge traf ihn in der Brust.
    Er stürzte lautlos, riss Alexander mit sich zu Boden.
    Der Soldat wendete sein Pferd und verschwand.
    »Mac!« Es musste ein Schrei aus meiner Kehle gewesen sein, denn sie brannte, als ich mich zu ihm niederwarf. Er lag wie zerbrochen auf dem Pflaster, während Alexander sich langsam aufrappelte.
    »Was ist geschehen?«, fragte er und starrte auf das Blut, das Macs Weste tränkte. Der öffnete die Augen und flüsterte: »Heil geblieben, Kleiner?«
    »Ja, bis auf ein paar Schrammen.«
    »Gut. Wollte immer danke sagen, Kleiner... ganzes Leben lang.«
    Ich machte aus meinen Röcken ein Kissen und bettete Macs Kopf darauf. Um uns hatte sich eine Wand aus Menschen gebildet, doch ich bemerkte sie kaum.
    »Mac«, flüsterte ich, und nahm seine Hände. »Mac, warum?«
    »Er weiß schon... Plancenoit.«
    »Großer Gott!« Alexander ließ sich auf die Knie fallen. »Allmächtiger. Der Mann von den Scots Grey .«
    Mac nickte unmerklich. Die Kräfte verließen ihn, mit jedem Schlag seines verletzten Herzens strömte mehr Leben aus ihm heraus. Alexander nahm nun auch seine Hände und wollte etwas zu ihm sagen, als eine

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