Göttertrank
Paula füllten Julia und sie es mit sprudelndem Leben. Mit dankbarer Verwunderung hatte er festgestellt, dass sich unter der ruhigen, ausgeglichenen Fassade seiner Gattin eine leidenschaftliche Geliebte verbarg. Aber genauso schätzte er auch ihre offene Kameradschaft, ihre Fürsorge und ihre Heiterkeit. Stundenlang, tagelang hatten sie schon zusammengesessen und die Fabrik geplant. Zwar fehlte Amara das gründliche technische Verständnis für die Maschinen, aber sie hatte eine sehr genaue Vorstellung von dem Verfahren, mit dem man die Speiseschokolade herstellte. Und sie konnte ihre Erfahrungen aus Küche und Labor durchaus auf den größeren Rahmen übertragen. Außerdem hatte sie einen Kopf für Zahlen. Es beeindruckte ihn immer wieder, wie sie Mengenberechnungen anstellte, die ihm halfen, die Maschinen auszulegen, die Abmessungen von Vorrats- und Transportbehältern oder die Größe der Lagerräume zu bestimmen. Daneben stellte sie auch wirtschaftliche Berechnungen an, an denen ihn ihre Sorgfalt und ihr Einfallsreichtum verblüfften. Sie wusste nicht nur um die Rohstoffpreise, sondern kannte auch die Kosten für Kohle, Holz, Putzlappen und Schmierstoffe. Sie rechnete Löhne ein, Versicherungsprämien, Transportkosten, Verpackungsmaterialien und Kreditzinsen. Es war eine Freude, mit ihr zu arbeiten und zu diskutieren.
Mit anderen hatten sie auch unzählige Male beraten und diskutiert. Mit Maximilian fachsimpelten sie über die Vor- und Nachteile von Rohr- und Rübenzucker, von braunem Kandis gegenüber weißer Raffinade, mit Jan und den Valmonts hatten sie Stunden verbracht, um sich über Kakaosorten, Erntemethoden, Fermentierung und Verschiffung kundig zu machen, Lothar hingegen hatte sie mit einigen interessierten Investoren zusammengebracht, denen sie das Konzept ihrer Fabrik und des Produktes schmackhaft machen sollten.
Das Fabrikgrundstück und auch das, auf dem die zukünftige Villa stehen sollte, hatte de Haye seiner Tochter als Mitgift zur Hochzeit geschenkt. Alexander schmunzelte bei der Erinnerung daran, wie er und Amara dagegen protestiert hatten. Erfolglos, Lothar mochte umgängliche Manieren haben, doch wenn er sich etwas in den Sinn gesetzt hatte, konnte er zum unbeweglichen Basaltbrocken werden. Alexander vermutete jedoch, dass sein neuer Schwiegervater die komplette Fabrik finanzieren konnte, ohne dass es auch nur eine Delle in seinem Vermögen hinterlassen würde. Er hatte es aber klugerweise nicht angeboten, sondern sich nach Interessenten umgesehen, die risikobereit genug waren, in das neuartige Geschäft mit einzusteigen.
Ja, das Leben war aufregend und prickelnd wie Champagner geworden.
Und da sie nun die Haustür erreicht hatten, schlug Alexander vor: »Auf diesen Abend sollten wir mit einem Glas Champagner anstoßen, was meint ihr?«
»Du willst meinen Keller plündern?«, fragte de Haye und knuffte ihn in die Seite. »Na, nur zu, die Idee gefällt mir. Kommt mit nach oben, Max, Melisande.«
Alexander ließ die anderen vorgehen und suchte im wohlsortierten Weinkeller seines Schwiegervaters einige Flaschen aus. Als er in den Salon trat, hörte er, wie Max sich wieder einmal ereiferte.
»Er behandelt die Arbeiter wie den letzten Dreck, sage ich euch. Es muss etwas geschehen, man kann doch davor die Augen nicht verschließen. Auch Andreas Gottschalk steht auf unserer Seite!«
»Ich habe gehört, dass die Zustände bei Langen gar nicht so unmenschlich sind«, wandte Amara ruhig ein. »Er hat sogar eine Krankenkasse für seine Arbeiter eingerichtet.«
»Er zieht ihnen die Groschen dafür von ihrem mageren Lohn ab. Das ist Betrug in meinen Augen!«
»Warum Betrug? Er zahlt ihnen dafür doch den Lohn weiter, wenn sie krank sind.«
»Sie werden doch krank, weil die Arbeitsbedingungen so grauenvoll sind. Die Maschinen terrorisieren die Menschen und verursachen ständig Unfälle. Wegen der schlechten Bezahlung können sie sich kaum genug zu essen kaufen, müssen in kalten, feuchten Unterkünften hausen und sich vierzehn Stunden am Tag abrackern. Du weißt doch, was das heißt, Alexander!«
»Ja, ich weiß, was das heißt.«
Alexander öffnete die Champagnerflasche, und seine Hochstimmung verflog. Maximilian ritt sein Steckenpferd in vollem Galopp. Seit dem vergangenen Jahr stellte er in den verschiedenen Zuckerraffinerien der Umgebung seine Untersuchungen an, die sich eigentlich auf die Verarbeitung des Rohstoffs bezogen, hatte sich aber inzwischen mehr und mehr für die Zustände in
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