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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Jungen in meinen Kleidern. Sie wurden von einer Kugel getroffen, als Sie ihn aus dem Feuer retten wollten. Mich traf etwas am Kopf – gut, und den Rest kennt ihr.«
    »Ja, den Rest kennen wir«, bestätigte Julius, und mein Vater meinte leise: »So hat die Begegnung mit MacPherson jetzt die letzte Lücke in deiner Erinnerung geschlossen. Ein seltsamer Mann, dieser Schotte. Ich traf ihn, als ich von meiner ersten Südamerikareise zurückkam. Damals war er Tallymann auf dem Schiff, und wir hatten viele Abende miteinander verschwatzt. Über die Seefahrt, den Krieg, sein Einsatz bei den Scots Greys , die Frauen. Aber von sich selbst hat er nur wenig erzählt. Und dann, im Hafen von Bremen, kam dieser dicke Junge an Bord und stöberte in den Laderäumen herum. Wir standen an Deck, wollten schon voneinander Abschied nehmen, da sagte er plötzlich: ›Wir müssen den Kleinen im Auge behalten. Er begibt sich in Gefahr.‹ Mir schien das ziemlich überflüssig, denn das Schiff lag ruhig vertäut am Kai und hatte lediglich Kakaobohnen geladen. Aber von MacPherson ging eine derartige Alarmbereitschaft aus, dass ich ebenfalls aufmerksam wurde. Darum schlenderten wir zur Luke, die in die Frachträume führte, und in dem Augenblick hörten wir das Poltern und den Schrei. MacPherson hat Jan damals sehr schnell unter der brennenden Ladung hervorgezogen, so dass ihm nichts Schlimmes passiert ist. Aber im Nachhinein kam es mir seltsam vor – als ob er gewusst hatte, dass so etwas geschehen würde.«
    Ich merkte, wie mir ein leichter Schauer über die Arme und den Nacken kroch.
    »Ja, Mac tauchte immer genau dann auf, wenn ich ihn brauchte. Ich habe mir nie viel dabei gedacht, aber...«
    »Aber es gibt Menschen, die mehr sehen als andere«, murmelte Lady Henrietta. »Und es ist keine angenehme Gabe, habe ich mir sagen lassen.«
    »Sie meinen, er war so eine Art Hellseher, Mama?«
    »Kein Scharlatan, wie man sie auf Jahrmärkten antrifft, aber wohl ein sehr sensibler Mann.«
    »Dann mag es mehr als Zufall gewesen sein, dass wir ihn just an diesem 4. August begegnet sind«, sagte Alexander ernst und legte seinen Arm um mich. Ich hatte ihm vor einigen Tagen gebeichtet, was mich – außer den Geschäften und einer herzlichen Freundschaft – noch mit Mac verband, und er hatte schweigend zugehört. Ängstlich hatte ich auf seine Reaktion gewartet, aber als ich geendet hatte, meinte er nur: »Hätte ich es vor zwei, drei Jahren gewusst, Liebste, wäre ich außer mir vor Eifersucht gewesen. Ich kann nicht leugnen, es versetzt mir auch jetzt noch einen kleinen Stich. Aber ich bin ehrlich genug, Amara, zu sehen, was er dir bedeutet hat. Und du hast ja inzwischen herausgefunden, dass auch ich nicht immer ein Ausbund ehelicher Treue war.«
    »Es wäre nett, wenn du es zukünftig wärst.«
    »Nachdem ich erfahren habe, wie du mit Herren umspringst, die beispielsweise solche Häuser wie die von Madame Daphne aufsuchen, erfüllt mich allein der Gedanke daran mit tiefem Grauen.«
    Ich hatte erleichtert gelacht und mich an ihn geschmiegt.
    Wie auch jetzt, und zufrieden hörte ich meinen Vater berichten: »MacPherson war ein guter und aufrechter Mann, egal, ob er nun das zweite Gesicht besaß oder nur sehr kluge Schlüsse aus dem immerwährenden Geschwätz seiner zahllosen Klienten zog. Wir haben einen Nachruf auf ihn verfasst und ihn an all die Adressen gesandt, die wir in seinen Unterlagen gefunden haben.«
    »Das war eine gute Idee, de Haye.« Der General nickte meinem Vater zu. Die beiden Herren verstanden sich zum Glück ausgezeichnet. Aber auch Lady Henrietta hatte Lothar für sich eingenommen, denn als ich ihn ihr vorstellte, hatte er ihr mit großer Ehrerbietung die Hand geküsst und gesagt: »Lady Henrietta, ich bin Ihnen zu immerwährendem Dank dafür verpflichtet, dass Sie die junge Frau, die ich hirnloser junger Tropf für ein Abenteuer verlassen habe, bei sich aufgenommen und ihr und meiner Tochter ein Zuhause gegeben haben. Ich bereue in meinem Leben nicht viel, aber dass ich Birte unglücklich gemacht habe, verzeihe ich mir nie. Danke, gnädigste Frau Gräfin.«
    »Birte war eine wundervolle Zuckerbäckerin, und ihr kleines Mädchen hat mir viel Freude gemacht. Und manchmal sogar über die Trauer hinweggeholfen, die ich für meinen vermeintlich verstorbenen Sohn in mir trug.« Dann sah sie mich lächelnd an: »Und nun ist sie wirklich meine Tochter geworden.«
    Ja, ich war in die Familie Massow mit offenen Armen aufgenommen worden.

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