Göttertrank
Julia, die unablässig ihren Skizzenblock bearbeitete, der Bonner Hofapotheker ließ die rohen Kakaobohnen durch seine Finger laufen, die darauf warteten, in die Hohlwalzen gekippt zu werden, in denen sie geröstet würden. Franz Stollwerck begutachtete das Rührwerk, neben dem die Behälter mit Kakaobutter standen, und ich beobachtete, wie er mit einem Finger in das Fett stippte und ihn dann ableckte. Alexanders Ingenieursfreunde prüften fachmännisch die Windfege und die noch ruhenden Walzwerke, in die wir bereits fertig geröstete Bohnen eingefüllt hatten. An den Tafelformen, die selbstverständlich mit Schokoladenmasse gefüllt waren, standen unsere sechs Arbeiterinnen in weißen, gestärkten Schürzen und Hauben und verscheuchten lachend kleine Naschkatzen, die sich dem verlockendsten Teil der Anlage immer wieder begierig näherten. Bereit standen die Fässer mit Kakaobutter, die Säcke voll Zucker, die Porzellandosen mit Gewürzen und geriebenen Mandeln.
Honoratioren und Techniker, Freunde und Angehörige verstummten, als die kleine Kapelle zu spielen begann. Dann trat Alexander vor und begrüßte die Anwesenden. Er sprach von unseren Träumen – seinem, der sich in dem Einsatz neuester Technik zur Herstellung preisgünstiger Produkte manifestiert hatte, und dem meinen, der auf dem Wunsch fußte, den Kakao so wohlschmeckend zu machen, wie sein Duft es versprach.
Ich war so stolz auf ihn.
Dann gab er den Mechanikern ein Zeichen, und die Dampfmaschine erwachte zum Leben. Diesmal mit ihrer ganzen sorgsam gezügelten Kraft. Die Riemenscheiben auf der langen Transmissionswelle begannen zu laufen, und eine Maschine nach der anderen wurde eingekuppelt. Siebe ratterten, Walzen drehten sich, Zahnräder rasteten ein, das Gebläse dröhnte, Räder surrten.
Und die Luft wurde erfüllt von dem köstlichen, bittersüßen Aroma des Kakaos.
Für einen Moment schloss ich die Augen und wurde wieder zum Kind. Ich wurde wieder umhüllt von dem warmen Duft der Schokolade, den ich in den Armen meiner Mutter immer als so unendlich köstlich empfunden hatte, der mir das warme, tröstliche Gefühl der Geborgenheit geschenkt hatte.
»Theobroma«, flüsterte ich. »Speise der Götter.«
Und dann öffnete ich die Augen und sah in das Gesicht eines Kindes, das mit verschmierter, aber glückseliger Miene ein Stück Sehnsucht lutschte.
Nachwort
Ich wuchs in einem kleinen Ort in der Nähe von Kiel auf. Und immer, wenn ich an der Hand meiner Mutter meine Großeltern besuchen ging, führte unser Weg an einer Kakaofabrik vorbei.
Der Duft, der uns an diesem hässlichen grauen Gebäude entgegenwehte, war das Köstlichste, was ich mir vorstellen konnte.
Er hat mich bis heute inspiriert, und darum gibt es nun dieses Buch.
Ich habe mich an die Tatsachen gehalten und nur einige wenige Anpassungen dramaturgischer Art vorgenommen. In den Quellen wird dem englischen Quäker Francis Fry die »Erfindung« der Speiseschokolade auf der Basis von Kakaobutter zugesprochen. Er hat dieses Verfahren 1848 eingeführt und auf dem englischen Markt präsentiert. Damit erzielte er einen gewaltigen geschäftlichen Erfolg.
Doch es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auch andere vor ihm auf diese Idee gekommen sind. Konditoren, Zuckerbäcker, Köchinnen aller Art mögen ebenfalls auf dieses Rezept gestoßen sein, hatten aber nicht die Möglichkeit, die Speiseschokolade im großen Maßstab herzustellen und zu vertreiben.
Aber die Zeit war reif für die magische Tafel.
Und das Zusammenspiel der Kräfte, die dazu geführt haben, dass ihr Siegeszug Mitte des neunzehnten Jahrhunderts begann, hat mich gereizt, daraus einen Roman zu spinnen. Notwendig war die Kenntnis über den Kakao und seine nahrhaften Bestandteile, wie sie die Botaniker, Chemiker und Pharmazeuten genau zu diesem Zeitpunkt entdeckten. Notwendig war die Entwicklung der Dampfmaschine, die alle diese Maschinen antreiben konnte, mit denen Massen schnell und einfach verarbeitet werden konnten. Notwendig waren die wachsenden Verkehrsverbindungen zu Land und zu Wasser, mit denen die empfindliche Rohware wie auch die fertigen Schokoladenprodukte schnellstmöglich zu ihren Abnehmern kommen konnten. Notwendig war die Förderung des heimischen Zuckerrübenanbaus, der als billiger Rohstoff »bitter« nötig ist, um den Kakao für unseren Geschmack genießbar zu machen.
Die Schokoladenfabrik von Amara und Alexander jedoch ist ein reines Phantasiewerk.
Aber es hat in Köln einige
Weitere Kostenlose Bücher