Göttertrank
schätzte die widerspruchslose Ordnung im Staat über alles.
»Das mag falsch gewesen sein«, stimmte Gericke zu, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Aber das sind doch Kindereien!«
»Sie haben den Dichter, diesen Kotzebue, umgebracht. Das ist keine Kinderei!«, fuhr Fritz ihn an.
»Karl Ludwig Sand war verrückt. Er ist verurteilt und bestraft worden, aber dass die Regierung seinetwegen beschlossen hat, solche Vereinigungen wie die der Turner müssten zerschlagen werden, finde ich übertrieben. Und Friedrich Jahn hat mit der Sache schon gar nichts zu tun.«
»Er war der Rädelsführer«, beharrte mein Stiefvater, aber ich fühlte wieder einmal mehr den Drang, gegen seine selbstgerechten Ansichten aufzubegehren. Darum entfuhr mir: »Das kannst du doch gar nicht wissen, Papa Fritz.«
»Er ist ein Aufrührer. Er verführt die jungen Leute. Das muss vermieden werden, denn Ruhe ist nun mal erste Bürgerpflicht, und solche Gruppen verbreiten revolutionäre Gedanken.«
Mutter sandte mir einen mahnenden Blick, nicht weiter zu widersprechen. Auch Gericke vertiefte das Thema nicht, sondern verabschiedete sich kurz angebunden.
Seit fünf Jahren lebten wir zusammen in dem schmalbrüstigen, hohen Stadthaus in der Französischen Straße. Mit vierzehn war für mich die Schulzeit zu Ende, ich war konfirmiert worden und hätte nun in Stellung gehen können. Doch ich bat meine Eltern, in der Konditorei mitarbeiten zu dürfen. Man hielt Familienrat und stimmte meinem Wunsch zu. Konditorin zu werden, war nicht die schlechteste Berufswahl, hatte meine Mutter erklärt. Außerdem hätte ich bereits viele der Grundkenntnisse von ihr gelernt. Fritz war bereit, mich in die Feinheiten seiner Kunst einzuweihen.
Die Arbeit machte mir Freude, auch wenn sie früh am Morgen begann und häufig erst spät am Abend getan war. Wir bekamen oft umfangreiche Bestellungen von den Herrschaften, die große Häuser in Berlin führten, und vor allem Fritz’ Schokoladenkuchen erfreuten sich der Beliebtheit adliger und großbürgerlicher Kunden. Ich hingegen hatte meine Abneigung gegen den Kakao noch immer nicht verloren, auch wenn ich seinen Geruch liebte. Der dunkelbraunen Masse mit ihrem säuerlich-bitteren Geschmack stand ich skeptisch gegenüber. Sie schmeckte mir nur, wenn sie zur Aromatisierung von Gebäck oder Füllungen verwendet wurde. Doch wir setzten Kakao ohnehin sparsam ein, er war eine der teuersten Ingredienzen in unserer Küche. Um die Kosten einigermaßen im Griff zu behalten, kauften wir die gerösteten Bohnen statt des fertigen, in Täfelchen oder Brötchen gepressten Pulvers. So aber waren viele und zum Teil sehr komplizierte Schritte notwendig, um eine verarbeitbare Masse herzustellen.
Eine meiner Aufgaben war es, die gerösteten Schokoladenbohnen vorzubereiten. Das war harte Arbeit, denn die Bohnen mussten auf der angewärmten Steinplatte so lange mit einer Art Nudelholz aus Granit gewalzt werden, bis eine klebrige, fettige Substanz entstand. Kühlte sie anschließend ab, erhielt man eine feste Masse, aber zumeist verarbeiteten wir sie warm weiter. Sie wurde mit Zucker, Vanille und Eiern zu Cremes aufgeschlagen, in verschiedene Teigsorten verrührt, mit Sahne aufgeschäumt oder mit Butter und Talg zu einer Kuvertüre gemischt, die als Glasur für Torten und Petits Fours diente. Diese Produkte mussten immer ganz frisch zubereitet werden, denn das Fett wurde, besonders in den warmen Monaten, schnell ranzig. Darum standen wir alle oft schon vor Sonnenaufgang in der Küche, um die für denselben Tag bestellten Backwaren, Trüffel oder Pralinés herzustellen.
Während ich die Bohnen bearbeitete, grollte ich innerlich vor mich hin. Was anfangs eine konvenable Lösung schien, war in den beiden letzten Jahren zu einer unterschwelligen Belastung geworden. Mochte meine Mutter auch glücklich mit Fritz Wolking sein, ich war es nicht. Sein serviles und untertäniges Wesen allen Höhergestellten gegenüber störte mich immer häufiger.
Ich war inzwischen beinahe erwachsen und überragte meine Mutter schon um zwei Fingerbreit. Wenn ich in den Spiegel sah, fand ich mich ganz ansehnlich, obwohl ich meine Mutter um ihre blonden Haare beneidete. Meine jedoch lagen glatt und dunkelbraun um meinen Kopf. Mein Abbild zeigte mir außerdem sommers wie winters einen leicht gebräunten Teint, den mir vermutlich mein unbekannter Vater vermacht hatte. Meine hohen Wangen, die weit auseinanderstehenden, verblüffend blauen Augen ähnelten indessen
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