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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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es ihm, einen weißen Schmetterling damit zu treffen. Nur flatterte der gerade vor den empfindlichen Nüstern eines nervösen Rappen, den seine modisch gekleidete Reiterin kaum noch unter Kontrolle hatte.
    Die Peitsche traf die Nase, das Pferd stieg, warf seine Reiterin ab, und Fritz, der sie auffangen wollte, wurde vom Huf am Hinterkopf getroffen.
    Benommen saß er, die junge Dame auf dem Schoß, im Staub der Straße.
    Helfende Hände richteten sie auf, jemand kümmerte sich um Pferd und Reiterin, und Fritz machte sich mit schmerzendem Kopf auf den Heimweg.
    Meine Mutter wollte ihn sogleich mit kalten Umschlägen versehen zu Bett schicken, aber er bestand darauf, den Teig für den nächsten Morgen vorzubereiten. Es war ein umfänglicher Auftrag eingegangen. Doch irgendwann lehnte er erschöpft am Türrahmen und bat mich, die Vorbereitungen zu übernehmen. Die Beule verbreite hämmernde Schmerzen, meinte er. Und da er sich schwindelig fühlte und Probleme hatte, seinen Blick zu fokussieren, ging er früh zu Bett und schlief ruhig, als meine Mutter sich später leise zu ihm legte.
    Als sie am Morgen aufwachte, hatte Fritz aufgehört zu atmen.
    Für uns brach eine Welt zusammen.

Mit Volldampf voraus
    Und dem unbedingten Triebe
Folget Freude, folget Rat;
Und dein Streben, sei’s in Liebe,
Und dein Leben sei die Tat.
Denn die Bande sind zerrissen,
Das Vertrauen ist verletzt.
    Wanderlied, Goethe
     
     
    Alexander hatte wilde Träume, inzwischen nicht mehr von blutgetränkten Schlachtfeldern, sondern bei Weitem angenehmere, wenngleich ebenso aufrührende. Er träumte von Ernestine, Detterings ältester Tochter.
    Seit vier Jahren wohnte er im Haushalt des Colonels, hatte das Technical College besucht, die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und arbeitete nun in einer Dampfmaschinenfabrik als Ingenieur. Er hätte sich längst ein eigenes Heim schaffen können, aber die Familie hatte ihn überredet, weiterhin bei ihnen zu leben. Er wurde behandelt wie der Sohn des Hauses und ließ es sich gerne gefallen. Die Erkundigungen Detterings nach seinen Eltern zeitigten jedoch keinen Erfolg, obwohl er Dutzende von Briefen an seine deutsche Verwandtschaft, seine Freunde und Bekannten gesandt hatte. Das Problem bestand vor allem darin, dass Alexander sich zwar an seinen Vornamen, nicht aber seinen Familiennamen erinnerte. Er hatte sich oft genug den Kopf darüber zerbrochen, weshalb nicht. Er konnte sich nur daran entsinnen, immer als Master Alexander angesprochen worden zu sein. Auf dem Gut, auf dem er aufgewachsen war, hielt sich sein Vater nur selten auf, und wenn, sprach man ihn mit seinem Titel, seinem militärischen Rang oder mit den ehrerbietigen Floskeln an, die seinem Stand gebührten.
    Vielem erlaubte Alexander, sich in sein Gedächtnis zurückzuschleichen, seit sein Leben in geordneten Bahnen verlief und er Fürsorge und Freundlichkeit erfuhr. Er erinnerte sich an einen jüngeren Bruder namens Julius, eine englische Kinderfrau, die sie beide betreute, und auch an seine Mutter, die oft Englisch mit ihm gesprochen hatte. Er konnte auch die Gesichter eines Hauslehrers und vor allem eines knorrigen Stallknechts heraufbeschwören, der ihm auf einem Pony mit weiter Blesse das Reiten beigebracht hatte. Er sah die stillen Seen seiner Heimat, die Gehölze, die weiten Weiden vor sich, doch es war ihm unmöglich zu sagen, wo sie sich befanden. Dafür hatte er aber herausgefunden, wie er in die Schlacht geraten war. Es war sein Wunsch nach Abenteuern, der ihn dazu gebracht hatte, mit einem Stalljungen die Kleider zu tauschen, um mit den Soldaten seines Vaters in den Kampf ziehen zu können. Aber zwischen diesem Moment und seinem Erwachen in der Scheune voll Verwundeter fehlte noch immer ein Stück Erinnerung. Dettering hatte ihn zwar zu einigen Ärzten mitgenommen, die Erfahrung mit derartigen Traumata hatten, aber die einzige Erklärung, die sie für dieses Phänomen fanden, war, dass sein Gehirn an einer Stelle geschädigt sein musste. Das aber glaubte Alexander nicht. Denn wenn auch nicht fassbar mit seinem Verstand, in seinen Träumen sah er immer wieder Szenen aus diesem verschwundenen Zeitraum. Und die waren grauenvoll und beklemmend. Er traute sich gar nicht, sie näher an die Oberfläche zu holen.
    In den ersten Monaten hatte Dettering ihm immer neue Verlustlisten aus den Kämpfen von Waterloo vorgelegt, und gemeinsam sahen sie die Namen der gefallenen Offiziere durch. Aber nie verspürte er dabei ein spontanes

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