Göttertrank
für das neue Museum in Berlin übergeben. Verdienstvoller, wirst du zugeben, als klebrigen Zucker zu sieden.«
Naserümpfend betrachtete Dotty die Sprecherin. »So verdienstvoll, dass du sonntags noch immer im Kleid vom Vorjahr zur Kirche gehst.«
Nach dieser vernichtenden Replik legte sie ihre Stickerei zusammen und packte sie in ihren Handarbeitskorb. Es war kurz nach fünf, und sie hatte eine wichtigere Beschäftigung, als sich mit den Lästerzungen herumzuärgern.
»Ich habe Kopfweh und gehe auf mein Zimmer«, verkündete sie im Aufstehen und rauschte hinaus. Die Tuschelei würde jetzt erst recht losgehen, darüber bestand natürlich kein Zweifel. Aber das war ihr in Anbetracht der erwarteten Genüsse gleichgültig. Sie warf sich ihren dunklen Umhang über und zog die Kapuze tief in die Stirn.
Herbert erwartete sie schon unten am Dienstboteneingang. Er war ein achtzehnjähriger Küchengehilfe und geradezu besessen verliebt in die goldhaarige Baroness. Es wertete ihn in den Kreisen seiner Freunde ungeheuer auf, dass er eine heimliche Affäre mit der adligen Schülerin hatte, auch wenn man ihn vor den Gefahren warnte. Mit einer heftigen Umarmung begrüßte er Dotty, doch die stieß ihn energisch fort.
»Nicht hier, Herbert. Wer weiß, wer aus dem Fenster linst. Ich habe nur eine Stunde Zeit, dann muss ich zum Essen.«
»Dann lass uns in den Schuppen gehen.«
Sie fand nichts Ehrenrühriges dabei, dem gut gebauten Jüngling zu folgen, der ihnen beiden in dem Holzschuppen am Ende des parkähnlichen Gartens ein Liebesnest gebaut hatte. Das Mädchenpensionat wurde von der verwitweten Besitzerin einer herrschaftlichen Villa geführt, die ihren Unterhalt und den Erhalt des Gebäudes mit der Unterbringung begüterter Schülerinnen aus dem Umland verdiente. Von der Nutzung angegliederter Baulichkeiten durch ihre Schützlinge ahnte sie nichts.
»Dotty, ach Dotty!«, stöhnte Herbert begeistert, als er die Knöpfe des hochgeschlossenen Wollkleides aufnestelte. Dorothea war zu einer vollbusigen jungen Frau herangewachsen, ihre Hüften rundeten sich mollig, ihre weißen Arme wiesen an den Ellenbogen köstliche Grübchen auf, und zu gerne hätte Herbert gewusst, ob auch ihre Beine so weich und rundlich waren. Aber sie wusste dank Tante Laurenz’ schwülstigen Geschichten sehr genau, wo Grenzen gezogen werden mussten. Und aus eigener tätiger Erfahrung war ihr auch die Macht der Verweigerung gut bekannt.
Es brachte ihr einen weit größeren Genuss ein als die brennenden Küsse und die gewagten Fummeleien des Küchenjungen – nämlich eine zusätzliche Portion Schokoladenpudding, die er für sie abgezweigt hatte. Die Pensionsleiterin hielt nicht viel von süßen Leckereien, sie wurden ihren Damen nur in bescheidenen Mengen bei den gemeinsamen Mahlzeiten kredenzt.
Wenigstens das würde auf Rosian anders, dachte Dotty, als sie sich spätabends die Finger ableckte und die Schüssel unter dem Bett versteckte. Am Morgen würde sie sie unauffällig zwischen das Frühstücksgeschirr schmuggeln. Andererseits erwartete sie auf dem Gut ihre beständig unzufriedene Mutter, die unbedingt erfahren wollte, mit wem sie Freundschaft geschlossen hatte, welchen gesellschaftlichen Status die jungen Damen besaßen, welchen Rang ihre Väter einnahmen und vor allem wer heiratsfähige Brüder oder Vettern hatte.
Dotty hatte keine Freundinnen.
Sie hatte sich auch nie besonders darum bemüht. Die Mädchen, Töchter von Landjunkern und höheren Beamten, hielten sie für hochnäsig und selbstsüchtig. Da Dotty bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr auf dem Gut aufgewachsen und nur selten mit Gleichaltrigen zusammengekommen war, mangelte es ihr an der Fähigkeit, sich einer Gruppe anzupassen. Dazu waren auch die dünkelhaften Ansichten der Baroness über ihren Adelsstand nicht ohne Auswirkung geblieben. Sie gab sich freundlich Höhergestellten gegenüber, denjenigen niederer oder gar bürgerlicher Abkunft begegnete sie mit leichter Herablassung. Ausnahmen galten hier nur für gewisse Mitglieder des Küchenpersonals.
Als sie aber in der Vorosterwoche zu Hause eintraf, wurde sie angenehm überrascht. Es war Besuch gekommen, der für erfreuliche Ablenkung sorgte. Ihr Onkel Lothar war nach mehreren Jahren des Herumreisens eingetroffen, um seine Angelegenheiten zu regeln. Was immer das bedeuten mochte.
»Hübsch bist du geworden, Dotty«, begrüßte er sie.
»Danke, Onkel Lothar. Auch Sie sehen gut aus. Sie kommen aus einem sonnigen
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