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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Kredit aufgenommen. Als er tot war, mussten wir den zurückzahlen und die bestellte Einrichtung verkaufen. Er... war nicht sehr geschäftstüchtig. Hatte ungeheuer viele Außenstände. Mama war nicht... sie traute sich nicht...«
    »Das Geld einzufordern?«
    Amara nickte. »Sie hat sich auch über den Tisch ziehen lassen. Von dem Mann, der uns die Sachen abgenommen hat. Er hat ihr freie Wohnung für zwei Jahre in seinem schönen neuen Haus in Potsdam angeboten und Arbeit bei Jakobs. Hätte sie doch nur auf mich gehört!«
    »Du wusstest es besser?«
    »Ich habe Geschäftsverstand, gnädiger Herr. Ich habe eine Ausbildung. Und ich weiß, dass solche neuen Häuser trockengewohnt werden müssen. Es war ein kalter Juni, gnädiger Herr. Und sie... die Trauer, das ungeborene Kind, die schwere Arbeit... Sie fühlte sich so schwach.«
    Alexander nickte. Das erklärte den Vorwurf der Faulheit.
    »Wie alt bist du, Amara?«
    »Sechzehn dieses Jahr, gnädiger Herr.«
    »Und du hast eine Ausbildung?«
    »Luisenschule in Berlin, und ich habe schon immer in der Backstube gearbeitet.«
    »Was willst du jetzt machen?«
    Sie seufzte. »In der Fabrik nehmen sie mich vermutlich nicht mehr. Dort hat uns niemand gemocht, und jetzt sind sie wahrscheinlich froh, mich loszuwerden.«
    »Sie haben euch von der Lohnliste gestrichen.«
    »Ich hab noch nicht nachdenken können, gnädiger Herr. Ich werde mir irgendeine Arbeit suchen. Vielleicht nimmt mich jemand als Küchenmädchen.«
    Alexander hatte ihnen Geld anbieten wollen, aber plötzlich kam ihm ein viel besserer Gedanke. Das Ausflugslokal in der Nähe vom Heiligen See, wo er sich im Sommer oft mit seinen studentischen Bekannten getroffen hatte, wurde von einer lebenslustigen Wirtin geführt. Nadina Galinowa hatte den Ausschank jederzeit im Griff, egal wie viele Gäste sie bewirten musste, gleichgültig wie ausgelassen es zuging oder wie sehr sich die Gemüter auch erhitzten. Ihr Bier war gut, der Wein erträglich, die Schmalzbrote fett und der Streuselkuchen eine ungenießbare Katastrophe. Aber ihr Herz war groß und weit wie Mütterchen Russland selbst.
    »Ich wüsste etwas für dich, Amara. Ob es klappt, weiß ich nicht, aber wir können es versuchen. Wasch dein Gesicht und zieh dir etwas Sauberes an. Ich hole dich in etwa einer Stunde ab.«
    »Gnädiger Herr, verzeihen Sie, aber was wollen Sie von mir?«
    »Misstrauisch?« Ein zynisches Lächeln huschte über seine Züge. So ging es einem, wenn man ungebeten Hilfe anbot.
    »Ich bin nicht mehr ganz so naiv.«
    Plötzlich wirkte das Mädchen älter und weiser auf ihn, und er nickte.
    »Ein Gartenlokal an der Havel, das dringend eine gute Bäckerin braucht. Nadina Galinowa ist eine anständige Person. Soweit ich weiß, zumindest. Sie wird dich nicht an den Meistbietenden verkaufen. Ein vornehmes Kaffeehaus ist es allerdings nicht.«
    »Ich bin nicht wählerisch, gnädiger Herr.«
    »Und ich nicht der gnädige Herr, sondern Alexander Masters. Also, in einer Stunde, Amara.«
     
    Ich war mir nicht sicher, wohin mich meine Entscheidung, einem völlig Fremden zu vertrauen, hinführen würde. Aber in meiner dumpfen Verzweiflung war er mir als der Retter erschienen, der mir einen Weg in die Zukunft weisen konnte. Was hätte ich schon alleine in Potsdam unternehmen können? Ende des Monats war die Miete fällig, die ich ohne Arbeitslohn nicht aufbringen konnte, und der Winter stand bevor. Es war schon Ende Oktober, und als ich neben jenem Alexander Masters auf dem Kutschbock seines Wagens saß, fielen mir die Bäume am Ufer der Havel auf, die sich schon in ihr goldenes Laub gewandet hatten. Die Sonne brach zwischen den Wolken hervor und ließ sie in satten Farben erglühen. Sie spiegelten sich auch in den träge dahinfließenden Wassern, über die lautlos einige flache Kaffeekähne glitten, die V-förmig aufgespannten Vorsegel gebläht im leichten Herbstwind. Es war ein typisches Bild für Potsdam, doch ich hatte bisher noch nicht viel Gelegenheit gehabt, die Gegend zu erkunden. Obwohl ich mich innerlich vor Trauer und Verlust wie zerrissen fühlte, legte sich jetzt doch die milde Herbststimmung lindernd um mein Herz, und dankbar lehnte ich mich auf dem Sitz zurück. Alexander Masters hatte Pferd und Wagen offensichtlich gut im Griff, wenngleich er manche Kurven mit jugendlichem Elan nahm und ich mich festhalten musste, um mir nicht blaue Flecken von den Seitenwänden zu holen.
    Das Ausflugslokal, an dem er schließlich Halt machte, lag

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