Göttertrank
Haus als Sie, Herr Masters!«
»Das habe ich bereits verstanden. In diesem Haus bin ich nur ein notwendiges Übel. Sie aber sind ein Übel, das nicht notwendig ist. Und ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie umgehend Ihre Kündigung aussprechen würden.«
»Was... was... was erlauben Sie sich?«
»Bedauerlicherweise sind meine Frau und meine Schwiegereltern mit Ihren Erziehungsmethoden einverstanden. Ich bin es nicht. Und Julia ist meine Tochter. Sie haben ihr mit Ihren bigotten Schilderungen von Hölle und Teufeln Furcht eingejagt und ihr von dem schlechten Blut erzählt, das sie geerbt hat. Das ist unerträglich.«
»Das Kind muss im rechten Glauben erzogen werden.«
»Und der beinhaltet, Angst und Schrecken zu verbreiten und meine Herkunft zu schmähen?«
»Wer sind Sie denn, Herr Masters?«, spuckte die Kinderfrau. »Sie wissen ja nicht einmal, wer Ihre Eltern sind!«
»Zu Ihren äußerst fragwürdigen Ansichten zur Kindererziehung maßen Sie sich jetzt auch noch an, mir meine Herkunft vorzuwerfen? Sie können freiwillig gehen und ein Zeugnis bekommen, oder Sie werden unfreiwillig und ohne Papiere das Haus verlassen. Entscheiden Sie sich!«
»Ich werde selbstverständlich bleiben. Ihre Frau...«
»Meine Frau wird sehr überrascht sein, wenn sie von den großen Dosen Laudanum erfährt, mit denen Sie betäubt neben unserem Kind schlafen.« Alexander knallte das Arzneifläschchen auf den Tisch. Erstmals sah er Unsicherheit in den Augen der Kinderfrau aufflackern. Aha, dachte er. Das war also ihr kleines Laster.
»Ich hatte Zahnschmerzen.«
»Sie hatten Zahnschmerzen, so, so. Dann würde ich vorschlagen, wir suchen jetzt gemeinsam den Zahnbrecher auf, der das Übel mit Stumpf und Stiel herausreißt.«
Jetzt malte sich die Panik deutlich in ihrem Gesicht ab. »Das können Sie nicht tun.«
»Schwester Gnadenlos, ich bin weit stärker als Sie. Ich kann.«
»Herr Masters...«
»Kündigen Sie?«
»Nein! Auch wenn Sie mir mit Gewalt drohen.«
»Dann werden Sie erleben, dass Sie nicht erst nach dem Tode in die Hölle kommen.«
Sie wussten es beide, dass Alexander nicht eigenmächtig handeln konnte. Er war nicht Herr im Haus, nicht er zahlte ihr den Lohn. Aber eines konnte er tun – Julia so weit wie möglich ihrem Einfluss entziehen. Und das betrieb er mit Erfolg. Wann immer er Zeit fand, und es fand sich bei ein wenig Überlegung viel davon, kümmerte er sich um seine Tochter. Er wanderte mit ihr durch den schneebedeckten Wald, malte mit ihr am Kamin Bilder aus, baute mit Holzklötzchen Häuser und lehrte sie die ersten Buchstaben. Er schenkte ihr einen in vielen Facetten geschliffenen kristallenen Briefbeschwerer, den sie so sehr liebte, dass sie ihn immer unter ihr Kopfkissen legte. Oft erzählte er ihr Geschichten, immer sorgfältig darauf bedacht, darin Beispiele für selbstständiges Handeln, einen starken Willen und Aufrichtigkeit zu vermitteln. Es waren Märchen, die ihm einst, in einem ganz anderen Leben, eine weitaus gütigere und liebevollere Kinderfrau erzählt hatte. Sie waren durchaus geeignet, einen Schutzwall gegen pietistische Heuchelei aufzubauen.
Das Fräulein, das sich zumindest des Laudanums inzwischen weitgehend enthielt, hatte allen Grund, sich beständig über das aufsässige Benehmen ihres Schützlings zu beklagen, und tat es ausgiebig bei der Mutter. Was schließlich im Frühjahr zu einer heftigen Szene führte.
Paula hatte einen ihrer guten Tage, an denen sie ihr Zimmer verließ und sich in der warm geheizten Stube aufhielt. Auf dem Tisch stand eine kleine Staffelei mit einem dicken Zeichenblock. Das war die einzige Beschäftigung, für die sie sich kräftig genug fühlte. Sie fertigte unentwegt Feder- oder Kreidezeichnungen an. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Alexander ihr Talent bewundert. Sie hatte ein scharfes Auge und war in der Lage, jedwedes Objekt detailgetreu wiederzugeben. Doch nach und nach hatte er ihre künstlerischen Grenzen erkannt. Ihre Bilder hatten kein Eigenleben, keine Seele. Ihr gelang es nicht, den Zauber eines Stilllebens einzufangen, es war immer nur das exakte Abbild eines Korbs mit Früchten.
»Alexander! Gut, dass Sie so früh gekommen sind. Wir müssen miteinander reden«, begrüßte sie ihn an diesem Nachmittag.
»Dann tun wir das, Paula. Worum geht es?«
»Um Julia. Sie ist vollkommen ungebärdig und benimmt sich gegenüber dem Fräulein in einer Weise, die nur zu tadeln ist.«
»Das freut mich zu hören.«
»Wie bitte?« Paula legte den
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