Göttertrank
kannte er nur aus der Theorie. Verschiedentlichen Angeboten war er immer ängstlich ausgewichen, denn tief in ihm nistete die Überzeugung, dass sie nur aus Berechnung gemacht wurden. Er war eben ein hässliches, fettes Schwein mit einer pickeligen Haut und einer abstoßenden Brandnarbe im Gesicht. Gut, die Pickel waren fort, aber der Rest war geblieben.
Andererseits – die Sehnsucht war groß, und Yuni schien sich nicht viel um seine Mängel zu kümmern.
An diesem warmen Tropenabend, in dem feiner Kakaoduft von den trocknenden Bohnen zu ihm herüberwehte, nahm er ihr großzügiges Angebot an.
Danach vertropfte die Zeit in einem anderen Rhythmus.
Sie führte ihn aber auch in die Gegenwart zurück. Als er endlich die Lohnzahlung von Rodriguez erhielt, ging ihm erstmals auf, dass inzwischen über ein halbes Jahr seit dem Schiffbruch vergangen war. Und er hatte noch immer keine Möglichkeit gefunden, der Plantage zu entkommen und in zivilisierterer Gesellschaft Aufnahme zu finden. Hatte anfangs die schiere Strapaze der körperlichen Anpassung ihn stoisch gegenüber den Umständen gemacht, so wurde jetzt sein Wunsch immer drängender. Oft dachte er an seine Familie in Bremen, die gewiss vom Scheitern der Mathilda gehört hatte und ihn sicher für tot hielt.
Yuni erwies sich als bereitwillige Auskunftgeberin, über sie erfuhr er mehr über den Pflanzer Valmont und seine Familie.
Und aus diesem Grund befand er sich im August des Jahres 1834 im richtigen Augenblick genau an der richtigen Stelle.
Ein Hang zum Küchenpersonal
Oh, wie so trügerisch sind Frauenherzen!
Mögen sie klagen, mögen sie scherzen!
Oft fließt ein Lächeln um ihre Züge,
Oft fließen Tränen, alles ist Lüge.
Rigoletto, Piave
Nadinas Café befand sich ebenfalls an genau der richtigen Stelle. Erst hielt ich die Lage für ungünstig, ein Lokal an einer der breiten Prachtstraßen hätte ich bevorzugt. Doch allmählich wurde mir klar, wie klug Nadinas Wahl war, das Eckhaus an der Kreuzung zur Kanonierstraße zu mieten und dort das Café einzurichten. Vierstöckige Häuser mit säulen- und pilasterverzierten Fassaden säumten einen breiten Fahrweg, die Fenster blitzten hell im Sonnenschein unter barocken oder klassizistischen Steinornamenten, und statuenverzierte Giebel hoben sich vom lichten Blau des Himmels ab. Von meinem Zimmer aus konnte ich die herrschaftlichen Kutschen, verhangenen Sänften, Reiter auf glänzend gestriegelten Pferden auf der belebten Straße beobachten. Auf dem Trottoir schritten geschäftige Herren in Frack oder Gehrock, flanierten Gardeoffiziere in blendender Uniform und elegante Damen in ihrem Putz vorüber. Als Parallelstraße zu dem prächtigen Boulevard Unter den Linden hatte die Behrenstraße ihren Anteil an den Rückfronten der dort angesiedelten Palais der Vornehmen und Reichen. Es war schon erstaunlich, die Namen derer, die in den Zeitungen und Gazetten genannt wurden, beinahe täglich in eigener Person vorbeischlendern zu sehen. Denn die Anwohner bildeten ein illustres Völkchen. Professoren und Gelehrte der Universität lebten hier mit ihren Familien, bekannte Publizisten und Dichter, darunter auch ein erklecklicher Anteil Frauen, führten in ihren Wohnungen literarische Zirkel oder mondäne Salons, die königliche Bibliothek zog mit ihrem Lesesaal ein gebildetes Publikum an. In deren Nachbarschaft hatten sich einige Ministerien angesiedelt, und in einem kleinen Theater wurde ansprechende Unterhaltung geboten. Es herrschte ein angenehmes Klima von Gelehrsamkeit und Amüsement, geprägt von ungewöhnlicher Toleranz und Vornehmheit.
Ella und ich kehrten an diesem schönen Mainachmittag aus der Hofjägerallee am Tiergarten zurück, wo wir im Stadthaus derer von Briesnitz eine Anzahl Torten, Trüffel und Kleingebäck abgeliefert hatten. Die Verlobungsfeier der Baroness sollte am kommenden Tag stattfinden, und es gehörte in den besseren Kreisen inzwischen dazu, das Gebäck entweder bei Nadina oder bei Kranzler zu ordern. Ich wusste, dass die Baronin nur der Not gehorchte, denn Kranzler, einige Querstraßen weiter an der Ecke zu Unter den Linden, hatte den Auftrag aus Kapazitätsgründen ablehnen müssen. Die Briesnitzens, insbesondere Mutter und Tochter, gehörten zwar zur Stammkundschaft des Cafés, doch sie bildeten in der Menge der Gäste eine gewisse Ausnahme. Anders als die lebenslustigen Offiziere oder die gesetzten, manchmal verschrobenen, doch immer freundlichen Gelehrten, die weltgewandten
Weitere Kostenlose Bücher