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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Operation zweimal hatte durchführen lassen, lag ihm auf den Lippen.
    »Beweg die Schulter«, wies er den Arbeiter an, und der kreiste vorsichtig den Arm.
    »Gut, Mann.«
    »Na dann.«
    Jan Martin bückte sich ungerührt von dem Geraune nach den Früchten am Boden, um sie in den Sack zu füllen.
    Am Abend fand er ein Stück Maniokbrot und gegrillten Fisch in seiner Hütte. Es war ein Festmahl.
    Zwei Tage später wurde er zu einer Frau gerufen, die eine eiternde Wunde am Bein hatte. Jan Martin hatte keinerlei medizinische Ausrüstung dabei, keine Heilmittel, Verbände oder Arzneien. Also musste er improvisieren. Auswaschen, hatte der Schiffsarzt gesagt. Darum holte er Wasser und eine Flasche Rum. Mit der Machete schnitt er vorsichtig die Stelle auf, um den Eiter abfließen zu lassen, kümmerte sich nicht um das laute Gejammer, als er den Rum über die offene Wunde goss, spülte mit Wasser nach und wickelte schließlich ein frisches Bananenblatt um das Bein.
    »Ich komme morgen wieder. Nicht anfassen, Frau!«
    Die Wunde heilte ohne weitere Komplikationen, und eines Abends fand er einen gebratenen Vogel in seiner Hütte. Welcher Gattung er angehört hatte, konnte er nicht herausfinden. Aber er hatte ein erfülltes Leben hinter sich und viele Stunden in der Luft verbracht, das bewies sein zähes Fleisch. Trotzdem schmeckte er ihm ausgezeichnet.
    Es sprach sich herum, dass er zu helfen wusste. Immer häufiger suchte man ihn auf oder bat ihn in eine der Hütten. Nicht immer fiel ihm eine Lösung ein, und manchmal war seine einzige Tat, am Bett eines Sterbenden zu sitzen und seine Hand zu halten. Oft kam auch ein alter Schwarzer hinzu, der mit eigenartigen Ritualen, Gesängen und Räucherwerk seinen Anteil an der Behandlung durchführte. Jan Martin erwies ihm Respekt, denn auf seine Art half er ihm, die Patienten zu beruhigen. Außerdem zeigte er ihm einige heimische Pflanzen, die heilende Wirkung hatten, und gute Erfolge erzielte Jan Martin mit den Maniokwurzeln, die gegen Entzündungen, dem größten Übel im tropischen Klima, halfen.
     
    Die Zeit verrann in trägem Tropfen. Er hatte die Tage nicht gezählt, die er nun schon auf der Plantage arbeitete. Die Tätigkeiten waren gleichförmig, der Tagesablauf zur Routine geworden. Genau wie das Wetter kaum wechselte, die Kakaobäume beständig Blüten und Früchte produzierten und die Sonne jeden Tag zur selben Zeit auf- und wieder unterging. Er besaß keine Uhr, keinen Kalender. Im Morgengrauen stand er auf, in der Abenddämmerung kochte er sich sein Essen und rauchte dann eine Pfeife. Die Arbeiter und ihre Familien versammelten sich auf dem Platz, um miteinander zu reden, vor allem aber, um Musik zu machen. Jan Martin ertappte sich dabei, dass er manchmal die fremdartigen Rhythmen mit dem Fuß klopfte, die die Schwarzen auf ausgehöhlten Baumstämmen, mit Kürbisrasseln und anderen selbst fabrizierten Instrumenten erzeugten. Selten verstand er, was gesungen wurde, aber am Anblick der Tanzenden fand er Gefallen. Sie hatten anmutige Bewegungen, diese dunkelhäutigen Männer und Frauen. Manchmal bezogen sie ihn in ihre Gespräche mit ein oder zeigten ihm ihre eigenartigen Tanzschritte, doch die Scheu – oder auch die Abneigung gegen seine weiße Herkunft – ließ keine engere Freundschaft zu. Ein paar Mal kam es auch zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, und Jan lernte, nachdem er zweimal der Unterlegene war, einige sehr eigenartige Kampftechniken von zwei kleinen Jungen als Dank für eingerenkte Gelenke und die Behandlung von Platzwunden. Ansonsten entlohnten die Arbeiter ihn für seine medizinische Hilfe mit Naturalien, meist Nahrungsmittel. Aber es gab auch andere Formen der Gegenleistung.
    »Du immer alleine, Mann«, murmelte eine sanfte Frauenstimme neben ihm, als er in das Feuer starrte, an dem vier Musiker saßen. Wie von einem Skorpion gestochen zuckte Jan Martin zusammen. Das Mädchen, eine der milchkaffeefarbenen Schönen, die er gleich am ersten Tag gesehen hatte, lachte leise auf und legte ihm ihre Hand auf den Arm. »Ich keine Schlange. Ich Yuni.«
    Jan Martin schalt sich einen Trottel. Schon seit seiner Ankunft hatte er immer wieder einen Blick auf die Frauen geworfen. Er war ein Mann von sechsundzwanzig Jahren und zu seiner eigenen Betrübnis noch immer völlig unerfahren. Zwar kannte er die Anatomie des weiblichen Körpers, hatte oft genug Geburtshilfe geleistet und Verletzungen an allen Stellen des Körpers versorgt. Aber die geschlechtliche Beziehung

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