Göttertrank
einem blauen Auge, geschwollenem Kiefer und stinkend wie eine ganze Fuselfabrik. Sie sammelte auf, was von ihm übrig war, packte ihn in den Kohlenkeller, und als er zu randalieren begann, zerrte sie ihn in die Küche und hielt ihm einen Vortrag, der Melisande, die einiges von ihrer Mutter gewohnt war, das Blut in die Wangen trieb. Sascha, der die russische Tirade ebenfalls verstand, verdrückte sich vorsichtshalber hinter dem Brennholz, und Lena zog sich die Schürze über den Kopf. Ich verstand zwar inzwischen einige Brocken Russisch, nicht aber diese Tirade, und lauschte nur fasziniert dem wortgewaltigen Monolog. Dabei wurde ich Zeuge, wie der angeschlagene Mann zu einer Pfütze vor Nadinas Füßen zusammenschmolz.
»Nun, Andreas, du wirst dich waschen, und du wirst essen. Und dann backst du Torte. Ist verstanden?«, beendete die Cafébesitzerin auf Deutsch, und damit auch an das übrige Publikum gerichtet, ihre Philippika.
»Wie du wünschst, gospodina 2 «, krächzte Andreas ergeben und folgte.
Nadina klärte ihre Mannschaft auf.
Der Russe, er mochte um die vierzig sein, arbeitete im Nebenhaus bei Madame Schobitz als Patissier. Er hatte einen betrüblichen Hang zum Alkohol, vornehmlich zum Wodka, der ihn hin und wieder zur Selbstüberschätzung verleitete. Am Vorabend hatte er versucht, die Ehre einer Dame zu verteidigen, und war dabei mit einem Schlachtschiff der Admiralität zusammengestoßen. So drückte Nadina es aus. Madame Schobitz 3 , die derartige Vorfälle nicht zum ersten Mal erlebte, hatte dem demolierten Kuchenbäcker die Tür vor der Nase zugeschlagen und ihm verboten, je wieder über ihre Schwelle zu treten. Nadina ergriff die Gelegenheit, über einen weiteren Konditor verfügen zu können, und bot ihm, zusammen mit der Androhung martialischer Strafen bei Fehlverhalten, ein Mansardenstübchen und freie Verpflegung an. Bis auf Weiteres.
»Abend von Montag und Donnerstag hat er frei. Rechnet nicht Dienstag und Freitag mit ihm.«
»Aha«, sagten Melisande und ich wie aus einem Mund, verkniffen uns aber jeden Kommentar.
Andreas war trotz seiner Trunksucht eine Bereicherung. Er kannte einige ausgefallene Rezepte, nicht nur in der Kuchenzubereitung, sondern vor allem bei herzhaftem Gebäck, das Nadina ab sechs Uhr abends anbot. Die getrüffelte Schinkenpastete in Blätterteig war eine der köstlichen Neuerungen und auch die Plinsen mit Krebsfarce und der Hummersalat zu knusprigen Croustaden.
Es führte zu einigen äußerst erheiternden Situationen. Eine davon kostete mich fast meine Haltung.
»Jenau det Zeug hab ick noch vor zwee Wochen nebenan jefressen!«, verkündete ein markiger Oberst und verspeiste genüsslich den Rest der Pastete. Der Ministerialdirektor an seinem Tisch lief dunkelrot an, und einige andere Herren hoben eiligst die Zeitung vor ihr Gesicht. Zwei Gardeleutnants drehten sich mit streng zusammengepressten Lippen zur Wand.
Melli hatte ebenfalls Mühe, sich das Lachen zu verkneifen, flüsterte aber den jungen Offizieren mahnend zu: »Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht!«, was fast einen Eklat zur Folge gehabt hätte. Deshalb zogen wir uns geschwind in die Küche zurück.
»Oberst von Macke hat gerade seine Mitgliedschaft in einem exklusiven Club laut verkündet«, prustete Melli los. »Es hat peinliches Füßescharren ausgelöst.«
»Will da heißen?«, fragte Nadina, die gerade einen neuen Teller mit Plinsen dekorierte.
»Er rühmte unsere Pastete, deren Hersteller ihm nicht unbekannt ist.«
»Autsch.«
»Wir sollten über Variationen im Angebot nachdenken.« Melli kicherte und ergänzte in verruchter Stimme. »Vielleicht weitere Dienstleistungen anbieten?« Sie lehnte sich in herausfordernder Haltung an den Türpfosten, zeigte unter dem gelüpften Rock rote Strumpfbänder und setzte eine lüsterne Miene auf.
»Auch eine Möglichkeit«, pflichtete ich ihr bei. »Madame Schobitz macht gute Gewinne, heißt es.«
Das Etablissement war bekannt als eines der nobelsten Bordelle in Berlin – eine weitere Bereicherung im Unterhaltungsangebot der Behrenstraße. Die sechzehn Damen, die Madame beschäftigte, waren kultivierte Mädchen mit Stil und Geschmack, doch gehörten sie natürlich nicht zu Nadinas Kundschaft. Andreas hatte in diesem anspruchsvollen Unternehmen für die Gaumengenüsse gesorgt, und der Oberst hatte mit seinem erfreuten Ausruf natürlich allen Anwesenden zu wissen gegeben, dass er ein Besucher des freudigen Hauses war. Was wiederum die anderen
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