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Göttertrank

Göttertrank

Titel: Göttertrank Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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Salonièren und die umgänglichen Künstler wahrten sie ihren adligen Dünkel. Die Baronin behandelte Melisande und mich wie niedrigste Dienstboten, befahl, statt zu bitten, hatte ständig Mängel anzumelden und knauserte mit dem Trinkgeld. Dorothea aber betrachtete das Personal des Cafés wie etwas, was aus dem Ausguss in der Küche gekrochen kam. Melisande revanchierte sich, indem sie die beiden Damen mit betonter Servilität bediente, was gelegentlich den anderen Gästen ein verstecktes Lächeln entlockte. Ich hingegen setzte mein unbewegtes Madonnengesicht auf und behandelte sie mit unerschütterlicher Höflichkeit. Vermutlich suchten sie nur deshalb das Café auf, weil es »de bon ton« war und sich vor allem Julius von Massow häufig hier einfand. Ein Jahr hatte Eugenia von Briesnitz benötigt, um die Schlinge um den jungen Grafen festzuziehen. Die freundlichen Aufmerksamkeiten ihrer Tochter gegenüber hatte sie in den geflüsterten Andeutungen für ihre Bekannten zu einem ernsthaften Interesse hochstilisiert, seine gelegentlichen Morgenbesuche zu einer ernsthaften Neigung umgedeutet. Das bekamen Melli und ich natürlich mit, wie alles, was sich an Klatsch und Tratsch über Kaffee und Kuchen ergab. Dorothea hatte das Ihre dazu beigetragen, um sich den künftigen Erben zu sichern. Sie hatte einen Instinkt dafür entwickelt, beständig seinen Weg zu kreuzen, hatte sich sogar der Mühe unterzogen, sich einige intelligente Fragen und Kommentare zu seiner Tätigkeit bei ihren Bekannten abzulauschen, und wurde demzufolge immer häufiger an seiner Seite gesehen.
    Ich hatte Julius’ Laufbahn heimlich verfolgt, manches stand über ihn in der Presse – schließlich war sein Vater, der General von Massow, ein prominenter Mann -, anderes schnappte ich aus Cafégesprächen auf. Er hatte mich zwar erkannt und auch auf unsere frühe Bekanntschaft angesprochen, doch ich hielt vorsichtige Distanz zu dem Freund aus unbeschwerten Jugendtagen, denn es stand einer Serviererin nicht an, sich einer gemeinsamen Vergangenheit mit dem Sohn und Erben eines Grafen zu erinnern. Zumal Julius, jetzt achtundzwanzig, vor einem Jahr seine militärische Laufbahn im Rang eines Premiereleutnants aufgegeben hatte, um sich der Politik zu widmen. Mochte es der Einfluss seines Vaters oder dessen Bekannten sein oder seine eigene Brillanz – er hatte eine Stelle als Sekretär bei einem Kabinettsmitglied angetreten, die einem klugen Kopf eine Reihe von Möglichkeiten eröffnete. Wenn er das Café aufsuchte, wechselte er immer einige freundliche Worte mit Melli und mir und begegnete Nadina mit höfischer, wenn auch augenzwinkernder Ehrerbietung. Sie maß ihn dafür mit majestätisch tadelndem Blick und sorgte dafür, dass er immer den besten Platz am Fenster bekam.
    »So, Ella, das hätten wir«, erklärte ich, als wir durch die Toreinfahrt in der Kanonierstraße traten, die in den umbauten Hof führte. Mochten die Wohnhäuser auch eine elegante Vorderseite haben, das eigentliche Leben spielte sich in den Hinterhöfen ab. Hier wurden Waren angeliefert und Müll abgeholt. Hier entleerten die Bediensteten die Nachttöpfe in die Sickergrube, wurde aus dem Brunnen Wasser geschöpft, hier suchten die Lumpensammler ihre Waren aus dem Abfall, und die Aschesammler klaubten die unverbrannten Kohlen und Holzstücke aus den Eimern. In den inwärts liegenden, zumeist dunklen Räumen wohnten die kleinen Leute, die Dienstleister aller Art. Es war eine Welt für sich, die mit dem Vorderhaus kaum in Beziehung zu stehen schien. Und doch bildeten sie eine Einheit, denn auch die Herrschaften waren auf das Funktionieren des menschlichen Unterbaus hinter der Fassade angewiesen.
    »Da sind aber noch die drei Cremetorten, die Andreas machen sollte.« Die rotbackige Ella schob das vierrädrige Holzwägelchen an die Hauswand.
    »Lass nur, Ella, die bringe ich heute Abend noch hinüber.«
    Die empfindlichen Gebilde aus Biskuit und schaumiger Creme wollte ich unserem Dienstmädchen nicht anvertrauen. Sie war zwar eine fleißige und auch geschickte Haushaltshilfe, aber die gröberen Arbeiten lagen ihr mehr als vorsichtiges Umgehen mit Kunstwerken aus Konditorhand.
    Und Kunstwerke schuf Andreas. Fünfmal in der Woche. An zwei Tagen war ihm das Betreten der Backstube untersagt.
    Ich musste immer wieder grinsen, wenn ich daran dachte, auf welche Weise er zu uns gestoßen war. Wieder hatte Nadina einen lahmen Hund aufgesammelt. Sie fand ihn eines Morgens am Brunnen im Hof liegen, mit

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