Göttertrank
Anwesenden, die dort ebenfalls diskret verkehrten, unangenehm berührte oder zu heimlicher Schadenfreude reizte.
Nadina nahm den Zwischenfall gelassen und wies Andreas lediglich an, künftig andere Leckereien zu fabrizieren.
Bei den Süßwaren entstanden derartige Probleme nicht, und als ich die Backstube betrat, standen drei wunderbar dekorierte Torten bereits fertig in ihren runden Spanschachteln.
»Wie läuft es heute?«, fragte ich Melli, die Tee aus dem Samowar in Tassen füllte.
»Ist ruhig. Das schöne Wetter lockt die zum Promenieren. Der Kranzler hat eine gute Idee gehabt, Tische und Stühle draußen aufzustellen. Wir sollten uns das für den Sommer auch überlegen.«
»Straßencafé statt Gartenwirtschaft? Ich weiß nicht recht, Melli. Es fahren Wagen und Kremser vorbei, das staubt. Und wenn es geregnet hat, wollen die Leute über das Trottoir gehen. Da wären Tische nur im Weg.«
»Na, mal sehen. Willst du etwas essen?«
»Ich mache mir ein Schmalzbrot.«
»Nimm eine Gurke dazu. Wir haben ein neues Fass Spreegurken bekommen. Kam mit der Lieferung vorhin. Und deine Kakaobutter ist auch dabei.«
»Wunderbar. Damit werde ich morgen etwas ausprobieren, was mir schon die ganze Zeit im Kopf herumgeht.«
Seit einem Jahr war es vorbei mit dem mühseligen Reiben von Kakaobohnen: Es gab die Kakaoessenz von van Houten. MacPherson hatte bei seinem vorletzten Besuch einen Beutel von dem feinen, dunkelbraunen Mehl mitgebracht und uns erklärt, es sei dem Holländer gelungen, mittels einer neuartigen Hydraulikpresse das Fett von der Kakaomasse zu trennen. Bisher war das nur durch Abschöpfen der aufgekochten Schokoladenmasse möglich gewesen, was ein sehr aufwendiger Vorgang war. Der holländische Erfinder hingegen erhielt durch das neue Verfahren einen weitgehend entölten Presskuchen, der zu Pulver vermahlen und zusätzlich mit Kaliumkarbonat versetzt wurde, was den Geschmack noch einmal verbesserte. Vor allem aber machte diese Form der Verarbeitung der Bohnen den Kakao leichter wasserlöslich. Damit war auch die Zubereitung der Schokoladengetränke einfacher geworden, und die Cremes, Teige und Puddings gelangen luftiger. Ich war dem Reisenden dankbar für den Rat, und Nadina rechnete. Das Kakaopulver war natürlich teurer als die eigene Zubereitung aus den Bohnen, doch sie war klug genug einzusehen, dass es bei der Herstellung von Getränken und Süßwaren erheblich Zeit einsparte. Außerdem wurde die leichtere, weniger dickflüssige Trinkschokolade allmählich Mode.
»Wir machen, wir sehen!«, entschied sie schließlich und bestellte einige Beutel.
»Was, Mac, passiert mit der Kakaobutter, die aus den Bohnen gepresst wird?«, wollte ich wissen, als der Reisende das nächste Mal auftauchte.
»Sie verkaufen es billig als Schmiermittel.«
»Als Schmiermittel? Schmiermittel?«
»Ja, Sie wissen schon, Fräulein Amara. Für Radnaben und Zahnräder und so.«
»Mac, verschaffen Sie mir das Schmiermittel. Fässer voll, wenn nötig. Die Leute mögen quietschende Räder oder rostige Maschinen damit schmieren, ich habe eine andere Verwendung dafür.«
»Mach ich, Fräulein Amara, mach ich.«
Und nun waren zwei Fässchen goldgelben, feinsten Fetts eingetroffen und warteten auf ihre Verwendung.
Ich aß versonnen meine Schmalzstulle auf und trank einen starken Tee. Aus dem Fenster, das zum Hof hinausging, wehte ein Hauch von frischem Brot und Kloake, Sauerkraut und Wäschestärke. Die Dämmerung füllte die Ecken mit Dunkelheit, auch wenn hoch oben der Himmel noch blau leuchtete.
»Ich mache mich wohl besser auf den Weg, es wird bald dunkel.«
»Ich kann auch gehen«, bot Melli an, aber ich schüttelte den Kopf. »Dein Ungar kommt doch heute Abend.«
»Ja, allerdings.«
Der erste Pianist hatte eine besser bezahlte Stelle im Elysium angenommen, und Melli hatte ihn ohne zu trauern ziehen lassen. Derzeit beglückte ein wildbeschopfter Slawe Publikum und Melisande mit seinen feurigen Weisen.
Ich legte die Deckel auf die Tortenbehälter und band sie zu. Dann nahm ich sie auf und verabschiedete mich von Melli. Kaum war ich durch die Toreinfahrt auf die Straße getreten, wäre ich beinahe mit einem Mann zusammengestoßen.
»Hoppla, Amara. Fast hätte ich dich umgerannt.«
»Ist ja noch mal gut gegangen, gnädiger Herr. Guten Abend. Möchten Sie auf einen Kaffee hereinschauen? Leutnant von Lobental und Leutnant Krempz habe ich eben noch gesehen.«
»Ach, ich weiß nicht recht. Es ist ein so schöner Maiabend, da
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