Göttin der Wüste
Männerhose, die sie bei einem fliegenden Händler im Fort von Outjo gekauft hatte, dazu ein langes, derbes Hemd und eine weite Jacke. Vor allem die Jacke war ihr ein wenig zu groß, zu breit in den Schultern, aber das störte sie nicht. Eilig ging sie durch den Laden und lief außen ums Haus herum, bis sie am Rand der Steilwand stand. Dort ließ sie sich nieder und schaute über das pechschwarze Meer. Der Himmel war dunkel geworden. Eine Mondsichel und die ersten Sterne glänzten in der afrikanischen Nacht.
Sie hatte befürchtet, daß Elias ihr folgen würde, aber gehofft, er würde ihr mehr Zeit lassen. Statt dessen trat er jetzt lautlos neben sie und setzte sich. Er trug die gleiche Kleidung wie am Nachmittag, eine Leinenhose und eine Jacke. Um seinen Hals lag ein schmales Lederbändchen mit einer einzelnen Perle aus Elfenbein. Seltsam, daß es ihr nicht schon früher aufgefallen war.
»Du bist mir böse«, stellte er fest und ließ eine Handvoll Sand durch seine Finger rieseln. Der Wind wehte die Körner in den Abgrund.
»Geschwister streiten sich«, entgegnete sie bitter. »So was kommt vor.«
»Du bleibst doch trotzdem, oder?«
»Wäre es dir denn lieber, wenn ich gehe?«
Er nahm ihre Hand, obwohl sie es noch immer nicht über sich brachten, einander in die Augen zu sehen. Beide schauten hinab zu den Dünen und der rauschenden Brandung. In der Finsternis schimmerten die Sandhügel wie die Knochen der Seefahrer, die unter ihnen begraben lagen.
»Ich möchte, daß du bleibst. Und daß du Nanna kennenlernst. Du wirst sie mögen.«
»Natürlich.«
»Das ist mein Ernst. Sie wird dir gefallen.«
»Habe ich denn eine andere Wahl? Bis die Karawane hier eintrifft, werden wir es miteinander aushalten müssen.«
»Sei nicht ungerecht.« Er ließ sie los und rieb sich die Augen. »Es ist unsere Schuld, nicht Nannas.«
»Ich hätte nicht herkommen sollen.«
»Red nicht solchen Unsinn, Cendrine! Ich hab’ dich lieb, das weißt du.«
»Sag ›Schwesterchen‹, und ich brech’ dir die Nase.«
Elias lachte leise. »So gefällst du mir schon besser. Du hast dich verändert in den beiden letzten Jahren. Ich glaube, du bist jetzt viel besser für einen Ort wie diesen gerüstet, als dein Hauptmann wahrhaben wollte.«
»Als Schmugglerbraut?«
»Warum nicht?« sagte er grinsend. »Es gibt viele nette Männer im Dorf. Einer, zum Beispiel, hat sogar Philosophie studiert. Klar, er ist alt, und er hat ein Holzbein – manche sagen auch, er sei ein wenig verrückt –, aber ihr würdet bestimmt gut zueinander –«
»Du müßtest die Mitgift stellen.«
Sein Grinsen wurde noch breiter. »Mach dir darum keine Sorgen.«
Sie hatte Elias nie wirklich böse sein können, dazu hing sie zu sehr an ihm. Sie hatten viel zusammen durchgemacht. Welches Recht hatte sie, ihm vorzuwerfen, daß er eine andere Frau getroffen und sich verliebt hatte? Ihre eigenen Worte kamen ihr in den Sinn: So was kommt vor. Sie lächelte und hoffte, daß es grimmig genug aussah.
»Stört es dich gar nicht, daß du deine Frau betrogen hast?« fragte sie.
Elias zog eine Grimasse. »Oh, vielen Dank, Cendrine. Es ist ein wunderbares Gefühl, wirklich. Schön, daß du den Finger in die Wunde legst. Genau das, was ich im Augenblick brauche.«
»Was willst du hören? Daß es mir leid tut, daß ich dich verführt habe?«
»Du hast mich nicht verführt.« Er drehte sich zu ihr um. »Laß uns damit aufhören, ja? Komm, wir gehen rein. Es wird kalt.«
»Geh ruhig vor. Ich möchte noch einen Augenblick sitzen bleiben.«
»Allein, nehme ich an.«
Sie nickte wortlos, und Elias erhob sich. »Paß auf, daß du dich nicht erkältest.«
»Immer noch ganz der große Bruder!«
Elias zuckte die Achseln, dann verschwand er im Haus.
Cendrine aber schaute weiter über die See und suchte in der Dunkelheit nach dem Horizont. Der Mond spiegelte sich auf den Wellenkämmen, flitterndes Silber in der Finsternis.
Die vergangenen Stunden im Bett liefen noch einmal bruchstückhaft in ihrem Kopf ab. Sie wollte sich dafür schämen, doch es gelang ihr nicht. Es hätte ihr leid tun sollen – für Nanna, vielleicht auch für sie selbst –, aber noch erinnerte sie sich zu gut an das, was früher zwischen ihr und Elias gewesen war. Mochten auch zweieinhalb Jahre seit damals verstrichen sein, im Augenblick kam es ihr vor, als läge das alles höchstens ein paar Tage zurück.
Und was war mit Adrian? Sie mochte ihn, und ihre Küsse beim Abschied waren aufrichtig und ernst
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